Albrecht von Haller (1708 – 1777)

albrecht von hallerBernischer Universalgelehrter

* Bern 16. 10. 1708
† Bern 12. 12. 1777

Albrecht von Haller war das fünfte Kind des Juristen Niklaus Emanuel Haller; dieser wurde 1713 erster bernischer Landschreiber der Grafschaft Baden.

haller motto

non tota perit – nicht alles geht zugrunde

 

 

 

Nach Absolvierung der Berner Schulen begann Haller Ende 1723 an der Universität Tübingen sein Medizinstudium. 1735 setzte er es an der besonders durch den Kliniker H. Boerhaave berühmten Universität Leiden fort, wo er 1727 zum Dr. med. promovierte. In Leiden befreundete er sich mit Johannes Gessner von Zürich, den er nach einem kurzen Aufenthalt in England in Paris wieder traf, wo die beiden den Winter 1727/28 mit anatomischen Studien und chirurgischem Unterricht verbrachten. 1728 folgten sie in Basel den Mathematikvorlesungen von J. Bernoulli (1667-1748) und unternahmen jene gemeinsame Schweizerreise, die durch Hallers Gedicht „Die Alpen“ berühmt wurde.

Im Winter 1728/29 vertrat Haller in Basel den erkrankten Prof. der Anatomie J. R. Mieg; 1729 kehrte er nach Bern zurück und begann seine Tätigkeit als praktizierender Arzt. Bekannt wurde Haller durch die Gedichtsammlung „Versuch Schweizerischer Gedichten“, die zunächst anonym im Verlag seines Bruders erschien. Bemühungen um eine Anstellung als Stadtarzt oder Professor der Eloquenz schlugen fehl. Auf sein Betreiben wurde vom Berner Rat ein „anatomisches Theater“ eingerichtet und 1735 von Haller eröffnet. Im gleichen Jahr erhielt er die Stelle eines Stadtbibliothekars.

1736-53 wirkte Haller als Professor der Anatomie, Botanik und Chirurgie an der neu gegründeten Universität Göttingen und trug durch seine Lehr- und Publikationstätigkeit massgeblich zu deren Aufschwung bei. Durch Haller erlangten die „Göttingischen Gelehrten Anzeigen“ und die „Königliche Gesellschaft“ (später „Akademie der Wissenschaften“) bedeutende Ausstrahlung. Am 23. 4. 1749 erhob Kaiser Franz I. Haller in den erblichen Adelsstand.

Seit 1745 Mitglied des Rat der 200 (Vorgänger des heutigen Grossen Rates von Bern) erhielt Haller bei der Ämterneubesetzung von 1753 die Stelle des Rathausammanns, die als Sprungbrett zu den höheren Staatsämtern galt. Haller kehrte deshalb mit seiner Familie von Göttingen nach Bern zurück und bezog für vier Jahre die Dienstwohnung im Rathaus. Nach Ablauf eines Jahres wirkte er 1758-64 als Direktor der bernischen Salinen in Roche im Rhonetal, wo er 1762/63 auch stellvertretend als Gubernator (Landvogt) von Aigle amtierte. Von 1764 bis zu seinem Tod lebte Haller wieder in Bern, vielseitig tätig in staatlichen Kommissionen. Neunmal bemühte er sich erfolglos um die Wahl in den Kleinen Rat. Als ihn König Georg II von Hannover erneut an die Universität Göttingen berief, ernannte ihn der Staat Bern ausserordentlicherweise zum „Assessor perpetuus“ des Sanitätsrates mit 400 Kronen Jahresgehalt, was Haller genügte, den ehrenvollen Ruf auszuschlagen und in Bern zu bleiben.

Haller als Anatom, experimenteller Physiologe und Embryologe

Hallers herausragende Stellung in der Medizin des 18. Jahrhunderts ist vor allem bedingt durch seine systematische Untersuchung des lebenden und toten Körpers.

In der Anatomie betonte er die Notwendigkeit der wiederholten Sektion, welche allein die häufig auftretenden Strukturen von seltenen Varianten unterscheiden kann. Durch die Präparation von nahezu 400 Leichen gelang es ihm, in bisher nicht erreichter Vollkommenheit den Verlauf der Arterien im menschlichen Körper darzustellen. Weitere Arbeiten galten den Missbildungen und ihren Gesetzmässigkeiten. Der Name von Haller war jahrelang verbunden mit den anatomischen Strukturen des Zwerchfells (arcus lumbocostales Halleri), der Hoden (rete Halleri) und des Gefässsystems (tripus Halleri).

Die Anatomie bildete für Haller die Grundlage zur Erforschung der Lebensvorgänge, Physiologie war für ihn belebte Anatomie (anatomia animata). Die alles entscheidende Forschungsmethode aber war das Experiment am lebenden Körper. Mit der systematischen Durchführung zahlreicher Tierexperimente zur Bestimmung von Sensibilität und Irritabilität (Reizbarkeit) einzelner Körperteile kann Haller als Begründer der experimentellen Physiologie gelten. Als Resultat seiner Untersuchungen ordnete er spezifischen organischen Strukturen spezifische Eigenschaften zu (Muskel – Irritabilität; Nerv – Sensibilität) und hielt damit die bisher unklar getrennten Bereiche der Bewegung und Empfindung auseinander. Dadurch löste er eine europaweite Kontroverse aus, welche die medizinischen Konzepte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wesentlich mitprägte.

Weitere Studien galten der Strömung des Blutes, dem Aufbau des Knochens und der Embryonalentwicklung. Von weltanschaulichen Überzeugungen geleitet, fand Haller Anhaltspunkte für die Auffassung, dass der Keim nicht neu entsteht, sondern von Anfang gebildet lediglich wächst und sichtbar wird (Präformationsthese). Das ganze anatomisch-physiologische Wissen seiner Zeit stellte Haller kritisch in seinem achtbändigen Werk dar, das für die weitere Entwicklung der Physiologie von grundlegender Bedeutung wurde.

Haller als Wissenschaftsorganisator

Haller hat das Programm der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften im wesentlichen selbst bestimmt. Die Besonderheit bestand darin, dass die Gesellschaft – in Ergänzung zur Universität als Ort der Lehre – die Förderung der Forschung zu ihrer Hauptaufgabe erklärte. Mit der Errichtung einer physischen, einer mathematischen und einer historischen Klasse wurden nur Wissenschaften gewählt, welche „der beständigen Erfindung fähig sind“. Die Vorsteher dieser Klassen waren gleichzeitig Professoren der Universität und verbanden damit Lehre und Forschung in einer Person. Eine Wissenschaft ohne Forschung konnte es für Haller nicht geben, und demzufolge musste diese nicht nur Aufgabe des Lehrers, sondern auch Gegenstand der Lehre sein. So wurden die Doktoranden nicht wie bisher zur Erörterung eines Lehrinhaltes angehalten, sondern sie hatten durch die selbständige und meist experimentelle Bearbeitung eines aktuellen Problems einen eigenen Forschungsbeitrag zu liefern.

Haller als Praktischer Arzt

Hallers Tätigkeit als praktischer Arzt wurde lange unterschätzt. Wie sein Briefwechsel belegt, praktizierte er nicht nur 1729-36 in Bern, sondern war Zeit seines Lebens nebenbei als beratender Arzt (insbesondere in schwierigen Krankheitsfällen) tätig. Mit seinem Namen verbindet sich das „Elixir acidum Halleri“, das aus einem Teil Schwefelsäure und drei Teilen Weingeist besteht und das noch in der „Pharmacopoea Helvetica Quarta“ (1907, gültig bis 1933) aufgeführt ist.

Haller als Enzyklopädist und Bibliograph

Mit seinen Beiträgen für die Yverdoner und die Supplementbände der Pariser ‚Encyclopédie‘ kann Haller als Enzyklopädist im engeren Sinn des Wortes bezeichnet werden. Er hat 200 Lexikoneinträge von teilweise beträchlicher Länge zu den Gebieten der Anatomie und Physiologie verfasst. Diese Artikel sind von Bedeutung, da sie Hallers Ansichten oftmals deutlicher als andernorts wiedergeben und wohl auch wesentlich zur Verbreitung dieser Ansichten beigetragen haben.

Das gesamte medizinische Schrifttum bis in seine Zeit hat Haller in drei Bibliographien verzeichnet und kritisch kommentiert. Ein solcher Versuch wurde vorher nie vorgenommen und war nachher nicht mehr möglich. Neu war zudem der erstmalige flächendeckende Einbezug der Zeitschriftenliteratur, welche mit Haller wesentlicher Bestandteil des medizinischen Schrifttums wurde. Es war weniger seine Absicht, die Literatur vollständig aufzuführen, als auf das Wissenswerte hinzuweisen und damit auch altes Wissen der neuen Forschung zugänglich zu machen. Er brachte damit sein historisches Verständnis vom Wachstum der Wissenschaft zum Ausdruck. Weder ältere noch neuere Schriften betrachtete er als Autorität; diese müssen ihre Glaubwürdigkeit zuerst durch kritischen Vergleich mit anderer Literatur und vor allem der eigenen Erfahrung unter Beweis stellen, können dann aber von grossem Nutzen sein, da der Arzt und Forscher in Anbetracht seiner begrenzten eigenen Zeit sich auch auf fremde Erkenntnisse abstützen muss.

Albrecht von Haller als Dichter

Hallers literarisches Werk ist relativ klein, ragt aber dennoch innerhalb des deutschen 18. Jh. heraus. Das gilt vor allem für seine umfangreichen Lehrgedichte. In seiner Sammlung „Versuch Schweizerischer Gedichten“ (*Gedichte 1732) steht das auf Vergils „Georgica“ und Lucrez‘ „De natura rerum“ zurückgreifende, beschreibend-philosophische Gedicht „Die Alpen“. Es stellt die kraftvoll-reine Natur- und Menschenwelt des Hochgebirges der verweichlichenden Unnatur der Zivilisation gegenüber. Andere Gedichte versenken sich in religiöse, ethische und metaphysische Grundfragen („Über den Ursprung des Übels“, „Unvollkommenes Gedicht über die Ewigkeit“). Sie deuten von Klopstock und Johann Gottfried von Herder (1744-1803) bewundert, auf Schillers Gedankenlyrik voraus.

Im Alter verfasste Haller eine Reihe von politischen Romanen, in denen er Grundmodelle staatlicher Ordnungsformen an fernen historischen Stoffen aufzeigte, so den aufgeklärten Absolutismus in „Usong. Eine morgenländische Geschichte“ (*Usong 1771), die konstitutionelle Monarchie in „Alfred, König der Angelsachsen“ (*Alfred 1773) und die oligarchisch-aristokratische Republik in „Fabius und Cato“ (*Fabius 1774).

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Haller-Projekt der Uni Bern