* 7. November 1818 in Berlin
† 26. Dezember 1896 in Berlin
Emil du Bois-Reymond wurde am 6. Februar 1851 auf Vorschlag von Alexander von Humboldt und Johannes Müller zum ordentlichen Mitglied der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewählt. In seiner Antrittsrede vor den Akademiemitgliedern am 3. Juli 1851 bedankte er sich für die hohe Ehre, die ihm schon in so jungen Jahren widerfahre und definierte in dem Bestreben, sich dieser Ehre würdig zu erweisen, seine Lebensaufgabe, indem er schwor: „so lange dies Gehirn, diese Sinne, diese Hände ausreichen, nicht abzulassen von der Aufgabe, die mir zu Theil ward: die Physiologie, und sei es auch nur um ein Differential, ihrem Ziele näher zu rücken, die Physik und Chemie der sogenannten Lebensvorgänge zu sein“.
Dieser Schwur kann als Leitmotiv der neuen, von Emil du Bois-Reymond und seinen Freunden Ernst von Brücke, Hermann von Helmholtz und Carl Ludwig entwickelten antivitalistischen, kausalanalytischen mechanistisch-materialistischen Richtung in der Physiologie angesehen werden. Zusammen mit der Zellularpathologie von Rudolf Virchow, der wie Brücke, Helmholtz und du Bois-Reymond ein Schüler Johannes Müllers war, bildete sie eine wichtige Grundlage der modernen naturwissenschaftlichen Medizin.
Die Hoffnungen, die die Akademiemitglieder 1851 mit der Aufnahme ihres neuen jungen Mitgliedes verbanden, sollten sich in glänzender Weise erfüllen. Indem er physikalische und biologische Kenntnisse mit Hilfe von ihm neunbentwickelter physiologischer Methoden und unter dem strengen Duktus der Mathematik verband, wurde er zum Begründer der neueren Elektrophysiologie.
Emil Heinrich du Bois-Reymond wurde am 7. November 1818 in Berlin geboren. 1837 machte er das Abitur am französischen Gymnasium in Berlin und liess sich an der Philosophischen Fakultät immatrikulieren. Er hörte Naturphilosophie, Ästhetik, Geschichte, auch Kirchengeschichte. „In der Mitte des Sommersemesters 1837 kam ich einmal in das Colleg von Mitscherlich, sah dort den Experimentiertisch mit den schönen Präparaten und da erkannte ich meinen Beruf. Ich hörte dann Dove, ging nach Bonn, beschäftigte mich dort mit Geologie und dann im Wintersemester vorzugsweise mit Mathematik, ohne es aber weit zu bringen.“
Du Bois-Reymonds Interesse galt von Anfang an weniger den klinischen als den Grundlagenfächern. Schon bald kam er, in Kontakt mit Johannes Müller, der Anatomie und Physiologie vertrat, und wurde sein Assistent. Am 29. März 1841 berichtete er an seinen Freund nach Brüssel: Der „Gegenstand, den mir Müller aufs dringendste (ganz von selbst, weil er meinte, die Aufgabe sei für mich, ich für die Aufgabe geschaffen) ans Herz gelegt hat, ist Wiederholung Fortführung und Prüfung der älteren und der neuen Matteuccischen Versuche über den Froschstrom und das Verhalten des Nervenprinzips zur Elektricität. … Augenscheinlich haben Alle, welche diesen Gegenstand untersuchten, … bald nichts von Physik, bald nichts von Physiologie verstanden und so ist es gekommen, dass noch keiner die Sache von dem Standpunkt hat auffassen können, von dem ich sie gleich ergriff … Ausser einem sehr empfindlichen Galvanometer, dessen Bau mich diese Woche beschäftigen soll, steht mir alles Material reichlich zu Gebot.“
Mit den Untersuchungen zur tierischen Elektrizität hatte Emil du Bois-Reymond eine wissenschaftliche Aufgabe gefunden, die ihn sein ganzes Leben beschäftigen sollte. Nebenbei promovierte er 1843 mit einer Schrift über die Auffassungen der Griechen und Römer über elektrische Fische. Die für seine Forschungen erforderlichen Instrumente, zum Beispiel ein besonders empfindliches Galvanometer („Multiplikator“) musste er nicht nur selbst anfertigen, sondern teilweise auch erst entwickeln. Da er im Anatomischen Museum nur wenig Gelegenheit zum Experimentieren hatte, richtete er sich zu Hause, in der Karlstr. 21, ein eigenes kleines Laboratorium ein. Die benötigten Frösche liess sich der „Paddendoktor“ vom „Institut der Berliner Strassenjungen“ aus der Panke besorgen.
Seine erste kleine Abhandlung in Poggendorfs Annalen hatte die Aufmerksamkeit Alexander von Humboldts auf sich gezogen, der sich einst selbst kurz mit diesem Thema beschäftigte und Johannes Müller auf Matteuccis Essai aufmerksam gemacht hatte. Da die Ergebnisse derart aufsehenerregend erschienen, ist „denn Humboldt die kleine erbärmliche Treppe zu meinem engen Zimmer in der Karlstrasse hinaufgestiegen und hat selbst den Versuch dort angestellt“.
1848 erschien der erste Band der „Untersuchungen über tierische Elektrizität“, 1849 die erste und in grösseren Zeitabständen 1860 und 1884 die zweite und die letzte Abteilung des zweiten Bandes.
Im Sommer 1846 habilitierte sich Emil du Bois-Reymond mit einer Arbeit über die saure Reaktion der Muskelsubstanz nach ihrem Tode als Privatdozent für Physiologie, nahm aber aufgrund seiner angestrengten elektrophysiologischen Arbeiten seine Lehrtätigkeit zunächst noch nicht auf. 1849 nahm er aus finanziellen Gründen die durch den Weggang von Hermann von Helmholtz nach Königsberg freiwerdende Stelle als Assistent am Anatomischen Museum an und übernahm von diesem zusätzlich auch noch die Stelle als Anatomielehrer an der Berliner Kunstakademie, an der sein Urgrossvater Daniel Chodowiecki Rektor gewesen war und die er bis 1853 innehatte.
1854 begann er seine eigentliche Lehrtätigkeit an der Universität zunächst mit physiologischen Übungen. Ab April 1854 hielt er auch eigene Vorlesungen über Anatomie und Physiologie. 1855 wurde er ausserordentlicher Professor und 1858, nach dem Tode Müllers und der Trennung von Physiologie und Anatomie, übernahm er das Ordinariat für Physiologie und 1877 die Direktion des neu erbauten Physiologischen Institutes an der Berliner Universität. Fünfmal war er Dekan der Medizinischen Fakultät und zweimal, 1869/70 und 1882/83, Rektor der Universität.
1875/77 erschien in zwei Bänden sein zweites grosses Werk, die „Gesammelten Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik“. Er verfasste im Laufe seines Lebens eine Vielzahl von Berichten und Artikeln für Fachzeitschriften. Von 1859 bis 1876 gab er gemeinsam mit Karl Bogislaus Reichert (1811-1883) das Müller’sche Archiv für Anatomie und Physiologie heraus. Nachdem die Zeitschrift 1877 in eine Abteilung für Anatomie und eine für Physiologie geteilt worden war, übernahm er die Redaktion des Archivs für Physiologie.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag, dem 26. Dezember 1896 starb Emil du Bois-Reymond, nachdem er schon längere Zeit durch „Altersveränderungen am Herzen und an den grossen Gefässen“ gekränkelt hatte, im 79. Lebensjahr an einer „Herzlähmung“ Er wurde am 29. Dezember 1896 an der Seite seiner Eltern auf dem Friedhof der Französischen Gemeinde in der Berliner Chausseestrasse beigesetzt.
1851 war Emil du Bois-Reymond, erst zweiunddreissigjährig, mit 20 von 21 Stimmen zum ordentlichen Mitglied der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewählt worden. In der Begründung hiess es, dass die Arbeiten über tierische Elektrizität ihn „‚an die Spitze dieses Teils der organischen Physik gestellt‘, die auf diesem Felde erschienenen Arbeiten weit hinter sich gelassen und die ‚verborgenen Erscheinungen des tierischen Körpers der messenden Physik und der Berechnung zugänglich gemacht‘ hätten“. Er war vom 1. Juli 1867 bis zu seinem Tode ständiger Sekretar der Physikalisch-mathematischen Klasse. Am 2. Juni 1892 verlieh ihm die Akademie, bei ihrer Stiftung anlässlich des 70. Geburtstages von Hermann von Helmholtz, als einem der ersten eine ihrer höchsten Auszeichnungen, die Helmholtz-Medaille.
Emil du Bois-Reymond war Vorsitzender der Physikalischen Gesellschaft und auch Vorsitzender der Physiologischen Gesellschaft. Zahlreiche „gelehrte Gesellschaften“ und Akademien ernannten ihn zum auswärtigen bzw. Ehrenmitglied (z. B. Göttingen und München, Wien 1851, die Royal Institution London 1853, Upsala 1882, die American Academy of Arts and Sciences 1886).
Emil du Bois-Reymond, der erste berufene Physiologe an der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität, hatte bereits zu Lebzeiten durch seine Grundlagenforschungen zur Erregungsphysiologie Weltruhm er- langt. Mit seiner Vorrede zum ersten Band seines Hauptwerkes, den Untersuchungen über die tierische Elektrizität von 1848, „Über die Lebenskraft“, machte er sich zum Wortführer der mit seinen Freunden Carl Ludwig, Ernst von Brücke und Hermann von Helmholtz erarbeiteten antivitalistischen Position. Beginnend schon mit Johannes Müllers Abwendung von spekulativen Naturauffassungen, führte sie zur modernen materialistisch-naturwissenschaftlichen Denkweise der exakten Physiologie, wie sie allgemein als Grundlage physiologischen Denkens akzeptiert wird. Du Bois-Reymond war damit seinem weltanschaulichen Programm, wie er es im Mai 1842 postuliert hatte, ein Leben lang treu geblieben: „Brükke und ich, wir haben uns verschworen, die Wahrheit geltend zu machen, dass im Organismus keine anderen Kräfte wirksam sind, als die gemeinen physikalisch-chemischen; dass, wo diese bislang nicht zur Erklärung ausreichten, mittels der physikalisch-mathematischen Methode entweder nach ihrer Art und Weise der Wirksamkeit im konkreten Fall gesucht werden muss, oder dass neue Kräfte angenommen werden müssen, welche, von gleicher Dignität mit den physikalisch-chemischen, der Materie inhärent, stets auf nur abstossende oder anziehende Componenten zurückzuführen sind“. 1842 war es ihm gelungen, die Existenz der tierischen Elektrizität endgültig nachzuweisen. Durch seine hervorragenden, zum Teil selbstgebauten Instrumente gelang ihm unter anderem in kurzer Zeit die Entdeckung des Verletzungsstroms, des Nervenstroms, des Muskelaktionsstroms und des Nervenaktionsstroms.
Hielten seine Schlussfolgerungen aus den Entdeckungen auch nicht immer späteren Untersuchungen stand, so muss doch betont werden, dass er zum Beispiel mit seiner „Molekeltheorie“ die erste rein physikalisch-mechanistische Erklärung der elektrophysiologischen Vorgänge schuf, die keiner Vermittlung durch eine imaginäre „Lebenskraft“ mehr bedurften. Seine grundlegenden Untersuchungsmethoden und die von ihm konstruierten speziellen Instrumente und empfindlichen Messgeräte, wie Schlitteninduktorium, Multiplikatoren, unpolarisierbare Elektroden und eine verbesserte Kompensationsschaltung fanden Eingang in das naturwissenschaftliche physiologische Laboratorium. Seine Ergebnisse und Methoden wurden auch für die medizinische Praxis bedeutsam und führten zum Beispiel mit Elektrokardiographie, Elektroenzephalogramm und Elektromyogramm zu einem Spezialzweig der medizinischen Diagnostik.
Zu würdigen sind auch Emil du Bois-Reymonds Verdienste in seiner Eigenschaft als Direktor des ersten Berliner Physiologischen Instituts, das nach seinen Plänen erbaut worden war, und als Hochschullehrer. Unter dem Ordinariat von Johannes Müller, der ja noch Anatomie und Physiologie vertrat, gab es kein eigenständiges physiologisches Laboratorium, es bildete mit seinen Apparaten einen Teil des im Hauptgebäude der Universität gelegenen Anatomischen Museums. Nach Müllers Tod 1858, als du Bois-Reymond ordentlicher Professor und Ordinarius für Physiologie geworden war, wurde das Physiologische Laboratorium verwaltungstechnisch vom Anatomischen Museum getrennt. Er begann sofort auf den Neubau eines geräumigen Institutes zu drängen. Im Frühjahr 1859 waren die ersten Schritte für den Neubau schon getan, als „die politischen Ereignisse einer ferneren Entwicklung dieser Angelegenheit in den Weg traten“. 1871 wurde die Standortwahl gelöst, 1874 begann der Bau und erst am 6. November 1877 wurde das neue Gebäude nach achtzehn Jahren des Planens eingeweiht. Du Bois-Reymond erhoffte sich von dem neuen Haus vor allem eine bessere Ausbildung „unserer medizinischen Jugend in der Physiologie, wozu diese Anstalt die Mittel beut“. Er glaubte sogar aus verschiedenen Gründen (zum Beispiel wegen einer „Überfüllung des Marktes“), „es wäre … nicht unmöglich, dass, während aus dem ‚dumpfen Mauerloche‘ des bisherigen Laboratoriums Schlag auf Schlag Lehrer der Physiologie hervorgingen, der neue Prachtbau eine Zeitlang vergleichsweise unfruchtbar bliebe“.