Er ebnete dem Darwinismus den Weg nach Deutschland
„Jedesmal, wenn ich der lieben Mutter Erde wieder nahe komme, mich ganz, wie ich bin und lebe in sie hineinstürze, Wald und Berge und Wasser auf mich ganz unmittelbar wirken lasse, dann lebe ich neu auf, und neue Begeisterung für alles Wahre, Gute und Schöne strömt in mein Herz hinein“.
Von Kindheit an mit der Natur vertraut sucht Haeckel in ihr die Schönheit, sei es die einer bunten Blüte, die der ästhetischen Form eines Meerestieres, sei es die eines Sturzbaches, einer anfragenden Felsklippe, einer Landschaft in allen ihren Stimmungen. Er hat nie eine graphische Schulung genossen, niemals Malkurse besucht – und doch hat er bei allen seinen Reisen stets ein Skizzenbuch und stets den Malkasten mit sich geführt. Zahlreiche Aquarelle und Graphiken im Jenaer Haeckel-Archiv, einige weitere im Frankfurter Senckenberg-Museum lassen erkennen, dass er nicht nur ein begeisterter, sondern auch hoch begabter Autodidakt war.
Am 16. Februar 1834 wurde dem Regierungsrat Karl Haeckel und seiner Ehefrau Charlotte Sethe in Potsdam ein Sohn geboren, Ernst Heinrich Haeckel. Der Vater, ein in seiner Haltung von Preussentum und Protestantismus bestimmter Jurist, wird 1835 nach Merseburg versetzt, wo er als Oberregierungsrat für Schul- und Kirchenfragen zuständig wird. Hier wird im kleinen Ernst durch einen Privatlehrer die Liebe zur Naturbeobachtung erweckt, und insbesondere das Interesse an der Pflanzenwelt in Wald und Flur. 1852 legt er die Reifeprüfung ab.
Am beabsichtigten Studium der Botanik bei Schleiden in Jena durch eine Erkrankung gehindert, studiert Ernst Haeckel ein Semester Medizin in Berlin. Ab Herbst 1852 belegt er bei Rudolf Albert von Kölliker in Würzburg Anatomie, Physiologie und Entwicklungsgeschichte. Das fünfte und sechste Semester absolviert er in Berlin, wo in ihm unter dem Einfluss des bedeutenden Zoologen Johannes Müller das Interesse an marinen Faunen erwacht. 1856 wird er Assistent bei Rudolf Virchow, der später zur weit überragenden Persönlichkeit unter den deutschen Pathologen und daneben auch zum aktiven Politiker werden wird. Nebenbei: auch zu einem erklärten Gegner der neuen Abstammungslehre und seines früheren Assistenten Haeckel.
1857 erfolgt in Berlin Haeckels Promotion und im nächsten Jahr seine ärztliche Approbation. Doch seine Abneigung gegen den ungeliebten Beruf bleibt bestehen, voll Eifer verstärkt er seine naturwissenschaftlichen Studien, fussend auf den sicheren Grundlagen, die er sich bei Kölliker und Johannes Müller angeeignet hatte.
Haeckel schwankt zwischen einem Dasein als Landschaftsmaler oder als Wissenschaftler. Am 20. Januar 1860 schreibt er an seinen Freund Hermann Allmers: Als ich damals [im Vorjahr] mit ordentlicher Leidenschaft aquarellierte, muß ich förmlich verblendet gewesen sein; jetzt wo der Geist der Kritik von Dir auf mich gegangen zu sein scheint, muß ich über mich selber lachen. Seine Entscheidung für die Zoologie ist demnach Anfang 1860 gefallen: Aber trotz dieser ununterbrochenen Einförmigkeit ist dies Leben nichts weniger als langweilig, da die unerschöpflich reiche Natur immer neue, schöne und interessante Formen liefert, welche neuen Stoff zum Raten und Nachdenken, Zeichnen und Beschreiben geben. Das ist aber so recht eine Arbeit für mich, da das künstlerische Element dabei so viel neben dem wissenschaftlichen zu tun hat. Zugleich bin ich dadurch mit meiner lieben, mir für mein ganzes Leben obenan stehenden Wissenschaft wieder völlig ausgesöhnt worden in der Treue, gegen die ich wirklich durch Deine künstlerisch-ästhetischen Einflüsse etwas wankend geworden war. 1861 habilitiert sich Haeckel an der Universität in Jena. Im darauffolgenden Jahr erscheint seine grosse Monographie der Radiolarien, die sofort die lebhafte Aufmerksamkeit der Fachkreise auf sich zieht. Mit ihr rückt der junge Haeckel unvermittelt in den engeren Kreis der führenden Naturforscher seiner Zeit auf. Äusseres Zeichen der Anerkennung wird 1862 die Übertragung eines Extraordinariats der Universität Jena. Es folgten zahlreiche morphologisch-taxonomische Arbeiten über marine Wirbellose, so etwa die Rüsselquallen und Medusen, die Siphonophoren und Kalkschwämme.
Mit einem viel beachteten Vortrag („Stettiner Rede“) setzte sich Haeckel am 19. September 1863 bei der 38. Versammlung der Vereinigung Deutscher Naturforscher und Ärzte vehement für die Lehre Charles Darwins ein, dessen Werk „Über den Ursprung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ kurz zuvor (1859) erschienen war. In der Folgezeit wird Ernst Haeckel zum eifrigsten Protagonisten und aufklärenden Verbreiter der Abstammungslehre Darwins, den er ebenso wie Thomas Henry Huxley in der Folgezeit mehrfach in England besucht.
1869 wird er Ordinarius, und hinfort widmet er alle seine naturwissenschaftlichen Aktivitäten fast nur noch der Untersuchung und Darstellung stammesgeschichtlicher Zusammenhänge. Die Anerkennungen und Ehrungen häufen sich, allerdings auch die unausbleiblichen Anfeindungen gegen den „Jenenser Affen-Professor“.
Durch sein unerschrockenes, ja streitbares Eintreten für den Darwinismus wurde Ernst Haeckel schon frühzeitig zum Ziel wütender und erbitterter Angriffe, die er freilich nicht minder furios beantwortete. Ausgehend von seinen biologischen Erkenntnissen entwickelte er später als „Band zwischen Religion und Wissenschaft“ sein weltanschauliches Gedankengebäude des sogenannten Monismus, womit er in die ideologische Nähe der damaligen Freidenkerbewegung geriet. Sich von der selbstkritischen und analytischen Befunderhebung des objekt-bezogenen Forschers immer mehr entfernend wurde er, dessen Stärke schon immer auf dem Gebiet der interpretativen Synthese gelegen hatte, sodann zunehmend zum reinen Denker, in dessen Vorstellungswelt Deutung und Erkenntnis oft nicht mehr scharf geschieden wurden. 1909 erfolgte im 75. Lebensjahr die Emeritierung Ernst Haeckels.
Viel Licht, viel Schatten: Am 5. August 1919 verlöscht das Lebenslicht dieses in Deutschland wohl am tiefsten gehassten und am höchsten verehrten Gelehrten seiner Zeit.
Haeckels Reisen
1856 – meereszoologische Exkursion mit Albert v. Koelliker nach Nizza
1858 – Studienreise nach Messina, Italien
1866 – 1867 Reise nach den Kanarischen Inseln
1869 – Reise nach Norwegen
1871 – März/April Reise nach Dalmatien
1873 – Erste Orientreise – Studium der Korallenbänke im roten Meer
1875 – Studienreise nach Korsika
1877 – Studienreise nach Korfu
1881 – 1882 Reise nach Indien und Celyon
1887 – Reise nach Palästina, Syrien und Kleinasien
1897 – Reise durch Finnland und Rußland
1878 – Meeresbiologische Untersuchungen in der Bretagne
1890 – Reise nach Algerien
1900/1901 – Tropenreise über Ceylon, Singapur, Java und Sumatra
In Anlehnung an eine Biografie des Paläontologen Heinrich K. Erben.
Werke
- Briefe an die Eltern (1852 – 1856)
- Briefe an Anna Sethe (1858 – 1864)
- Italienfahrt (1859 – 1860)
- Die Radiolarien (1862)
- Briefwechsel Agnes und Ernst Haeckel (1867 – 1914)
- Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868)
- Indische Reisebriefe (1883)
- Visit to Ceylon (1883)
- Besteigung des Pik von Teneriffa (1870)
- Die Welträthsel (1899)
- Insulinde. Malayische Reisebriefe (1901)
- Kunstformen der Natur (1899 – 1904)
- Wanderbilder (1904)
- Sandalion – Eine offene Antwort auf die Fälschunganklagen der Jesuiten (1910)