Der Biologe mit problematischer Nazi-Vergangenheit
Nicht nur für Biologen ist Konrad Lorenz, der Nobelpreisträger des Jahres 1973, ein vertrauter Name. Als „Vater der Graugänse“ wird der Mitbegründer einer modernen vergleichenden Verhaltensforschung liebevoll genannt. Nach einer Umfrage in einer österreichischen Wochenillustrierten gilt er heute bei vielen als Wissenschaftler schlechthin und rangiert vor Schrödinger, Wittgenstein oder Freud. In einem Artikel wird er sogar „als einer der größten Humanisten des Jahrhunderts“ gewürdigt. Er sei aufgrund seiner streitbaren Auseinandersetzungen das „Gewissen der Nation“ geworden.
Mit seiner packenden Erzählkunst wusste er seine Leser zu faszinieren, seine Tiergeschichten wurden nicht nur unter Biologen zu häufig gelesenen Werken.
Auch als ökologischer Gesellschaftskritiker im Kampf gegen die Zerstörung der Umwelt ist Lorenz bekannt. Er kämpfte nicht nur gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf. Er engagierte sich auch kraftvoll für die Erhaltung einer der letzten Auenlandschaften an der Donau.
Wer aber ist dieser Mann, der von vielen so hoch in den Himmel gehoben wird? Woher kommt er denn wirklich? Was wollte er in seinem Leben bewirken?
Sein Leben
Konrad Zacharias Lorenz wurde am 7. November 1903 in Altenberg bei Wien geboren. Im Hause seines Vaters konnte er sich schon als Kind mit Tieren beschäftigen. Bereits mit fünf Jahren entdeckte Lorenz die sogenannte Prägung bei Entenkücken. Konrad Lorenz war ein leidenschaftlicher Forscher: „Ein Wissenschafter, der sein Objekt nicht liebt und der sich am Wissen über das Objekt nicht ergötzt, gehört in die Würst‘.“
Er studierte in Wien und New York Medizin, wurde 1928 zum Doktor der Medizin und nach weiterem Studium der Zoologie 1933 zum Dr. phil. promoviert. Schon während seines Studiums legte er mit der Erforschung von tierischen Instinktbewegungen den Grundstein für die vergleichende Verhaltensforschung. Seine Arbeit „Über den Begriff der Instinkthandlung“ von 1937 gilt als Beginn der vergleichenden Verhaltensforschung.
Während der Zeit des Dritten Reiches machte Konrad Lorenz Karriere: Im Jahre 1937 wurde er Privatdozent für vergleichende Anatomie und vergleichende Tierpsychologie an der Universität Wien. Drei Jahre später (1940) wurde ihm – begünstigt durch den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland – der (halbe) Lehrstuhl von Immanuel Kant in Königsberg (für Psychologie) zugesprochen. Als ordentlicher Professor und Leiter des Instituts für vergleichende Psychologie an der Universität Königsberg.
In einem Spiegel-Interview von 1988 meint er zu dieser Zeit: „Und ich habe mich ja auch vor aller Politik gedrückt […] vor einer Auseinandersetzung mit den Nazis habe ich mich in sehr verächtlicher Weise gedrückt, ich hatte einfach keine Zeit dazu.“
Anders sprechen die historischen Dokumente: Der „unpolitische“ Konrad Lorenz trat bereits 1938 der NSDAP bei und wurde darüber hinaus Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP. Sein Parteibeitritt erfolgte jedoch nicht durch Nötigung, er selbst bat mit schmeichelnden Worten um Aufnahme. Ein Dokument vom 28. Juni 1938 bezeugt seine eigenhändig gemachten „Angaben über sonstige Tätigkeiten für die NSDAP“. Darin stehen Sätze wie:
„Ich war als Deutschdenkender und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist und aus weltanschaulichen Gründen erbitterter Feind des schwarzen Regimes…“.
„Schließlich darf ich wohl sagen, dass meine ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste Nationalsozialistischen Denkens steht.“
Das lange gehegte Bild vom Mitläufer Lorenz wäre damit geklärt. Was ihn zu seiner Haltung geführt hat, mögen Karrieredenken, Opportunismus und eine gute Portion Antisemitismus und Rassismus sein. Seinem damaligen Mentor Ernst Stresemann schreibt er beispielsweise:
„(im strengsten Vertrauen) (…), dass die Humanpsychologie (…) merklich von dem Gedankengut der jüdisch daherredenden und worteschwelgenden Judengrößen durchsetzt ist. Einer der wenigen Fälle, wo ich das Schädlingstum der Juden uneingeschränkt anerkenne.“
Dass auch rassenhygienische Aspekte in seinem Denken gewirkt haben, belegt ein Zitat aus einem Interview von 1981, in dem er von seiner Hoffnung auf eine biologisch fundierte Politik im Dritten Reich berichtet und:
„dass der Nationalsozialismus etwas Gutes bringen wird, nämlich in bezug auf die Hochschätzung der biologischen Vollwertigkeit des Menschen, gegen Domestikation usw.“.
In Artikeln, die er während der NS-Zeit veröffentlichte, wurde er um einiges deutlicher. Da hiess es unter anderem:
„Die nordische Bewegung ist seit jeher gegen die ›Verhaustierung‹ des Menschen gerichtet gewesen. (…) Sie kämpft für eine Entwicklungsrichtung, die derjenigen, in der sich die heutige zivilisierte Großstadtmenschheit bewegt, gerade entgegengesetzt ist.“
Eine andere Stelle sei hier angefügt. In ihr bleibt nichts mehr offen in Bezug auf Lorenzens wirklicher Einstellung:
„Sollte sich dagegen herausstellen, dass unter den Bedingungen der Domestikation keine Häufung von Mutationen stattfindet (…), so müsste die Rassenpflege auf eine noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger (sic! die Redaktion) bedacht sein, als sie es heute schon ist.“
Einer kritisch-interessierten Fachöffentlichkeit sind diese Arbeiten von Lorenz seit langem bekannt, doch wenige haben bisher klar reagiert.
Lorenz beteiligte sich 1942 ehrenamtlich in Posen an einer Untersuchung der „Reichsstiftung für deutsche Ostforschung“ an „deutsch-polnischen Mischlingen und Polen“, an deren „eignungspsychologischen und charakterologischen Wertigkeit“ in Hinsicht auf eine mögliche Einbürgerung. Den für nicht „einbürgerungsfähig“ befundenen stand Zwangsarbeit oder die Deportation in ein Vernichtungslager bevor.
Lorenz und seine Biographen verschwiegen auch dieses Kapitel seiner Karriere immer konsequent, sowie überhaupt in Österreich seine Nazi-Vergangenheit nicht erwähnt wird.
1948 kehrte Lorenz aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück nach Altenberg an der Donau (Niederösterreich). Kaum zu glauben, aber seine nationalsozialistische Vergangenheit war zu keinem Zeitpunkt Hindernis für seine folgende steile Wissenschaftler-Karriere. 1961 wurde er zum Direktor des neuen Max Planck-Instituts für Verhaltensforschung in Seewiesen, 1973 folgte der Nobelpreis für Medizin, gemeinsam mit Karl Frisch und Nicolaas Tinbergen.
Seine unzähligen Veröffentlichungen zeigen aber vor allem eines: er kreiste seit Königsberg um dieselben Ideen, auch wenn er die Worte nun anders wählt. Er fordert keine „Ausmerzung“ mehr, sondern prangert in wirksamen Schriften die Fehler der anderen an (Das sogenannte Böse, 1963; Acht Todsünden der zivilisierten Menschheit , 1973) seien als Beispiele erwähnt.
In den 80er Jahren engagierte er sich in der Umweltschutzbewegung. Auch für die Grünen schien weder seine Vergangenheit noch seine propagierten sozialdarwinistischen Inhalte davor abzuschrecken, an gemeinsamer Front zu kämpfen.
Am 27. Februar 1989 starb Lorenz im Alter von 85 Jahren in Altenberg an Nierenversagen.
Zeittafel zum Leben von Konrad Lorenz
1903 | Konrad Lorenz wurde am 7. November 1903 als Sohn des Orthopäden Prof. Dr. Adolf Lorenz und seiner Frau Emma geboren |
1910-1922 | Schulbesuch (Volksschule und Gymnasium) |
1922-1928 | Studium der Medizin; Promotion Dr. med 1928 |
1928-1933 | Studium der Zoologie; Promotion Dr. phil 1933 |
1937 | Privatdozent für vergleichende Anatomie und vergleichende Tierpsychologie an der Universität Wien |
1940 | Ordentlicher Professor und Leiter des Instituts für vergleichende Psychologie an der Universität Königsberg |
1941-1944 | Arzt im Kriegsdienst |
1944-1948 | Arzt in russischer Kriegsgefangenschaft |
1949 | Gründung der Station für vergleichende Verhaltenforschung in Altenberg bei Wien |
1953 | Ernennung zum Honorarprofessor an der Universität Münster |
1957 | Ernennung zum Honorarprofessor an der LMU in München |
1961-1973 | Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen bei Starnberg |
1973 | Nobelpreis für Medizin gemeinsam mit Karl v. Frisch und Nicolaas Tinbergen |
1982 | Leiter der Forschungsstelle für Ethologie, dem nach ihm benannten Konrad-Lorenz-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Altenberg |
1989 | Am 27. Februar starb Konrad Lorenz im Alter von 85 Jahren. |