Zwischenkiefer Goethes Naturwissenschaften

ÜBER DEN ZWISCHENKIEFER DES MENSCHEN UND DER TIERE

[Handschriftlich, mit Tafeln, März 1784;
ohne Tafeln 1820 zur Morphologie, Band I Heft 2: «Dem Menschen wie den Tieren ist ein Zwischenknochen der obern Kinnlade zuzuschreiben»;
1831 mit Tafeln in den «Verhandlungen der Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher»]

Einige Versuche osteologischer Zeichnungen sind hier in der Absicht zusammengeheftet worden, um Kennern und Freunden vergleichender Zergliederungskunde eine kleine Entdeckung vorzulegen, die ich glaube gemacht zu haben.

Bei Tierschädeln fällt es gar leicht in die Augen, daß die obere Kinnlade aus mehr als einem Paar Knochen besteht. Ihr vorderer Teil wird durch sehr sichtbare Nähte und Harmonien mit dem hintern Teile verbunden und macht ein Paar besondere Knochen aus.

Dieser vorderen Abteilung der oberen Kinnlade ist der Name Os intermaxillare gegeben worden. Die Alten kannten schon diesen Knochen *, und neuerdings ist er besonders merkwürdig geworden, da man ihn als ein Unterscheidungszeichen zwischen dem Affen und Menschen angegeben. Man hat ihn jenem Geschlechte zugeschrieben, diesem abgeleugnet **, und wenn in natürlichen Dingen nicht der Augenschein überwiese, so würde ich schüchtern sein aufzutreten und zu sagen, daß sich diese Knochenabteilung gleichfalls bei dem Menschen finde.

Ich will mich so kurz als möglich fassen, weil durch bloßes Anschauen und Vergleichen mehrerer Schädel eine ohnedies sehr einfache Behauptung geschwinde beurteilst werden kann.

Der Knochen, von welchem ich rede, hat seinen Namen daher erhalten, daß er sich zwischen die beiden Hauptknochen der oberen Kinnlade hineinschiebt. Er ist selbst aus zwei Stücken zusammengesetzt, die in der Mitte des Gesichtes aneinander stoßen.

Er ist bei verschiedenen Tieren von sehr verschiedener Gestalt und verändert, je nachdem er sich vorwärts streckt oder sich zurückzieht, sehr merklich die Bildung. Sein vorderster, breitester und stärkster Teil, dem ich den Namen des Körpers gegeben, ist nach der Art des Futters eingerichtet, das die Natur dem Tiere bestimmt hat, denn es muß seine Speise mit diesem Teile zuerst anfassen, ergreifen, abrupfen, abnagen, zerschneiden, sie auf eine oder andere Weise sich zueignen. deswegen ist er bald flach und mit Knorpeln versehen, bald mit stumpfem oder schärferen Schneidezähnen bewaffnet, oder erhält eine andere, der Nahrung gemäße Gestalt.

Durch einen Fortsatz an der Seite verbindet er sich aufwärts mit der obern Kinnlade, dem Nasenknochen und manchmal mit dem Stirnbeine.

Inwärts von dem ersten Schneidezahn oder von dem Orte aus, den er einnehmen sollte, begibt sich ein Stachel oder eine Spina hinterwärts, legt sich auf den Gaumenfortsatz der oberen Kinnlade an und bildet selbst eine Rinne, worin der untere und vordere Teil des Vomers oder Pflugscharbeins sich einschiebt. Durch diese Spina, den Seitenteil des Körpers dieses Zwischenknochens und den vorderen Teil des Gaumenfortsatzes der obern Kinnlade werden die Kanäle (Canales incisivi oder naso-palatir) gebildet, durch welche kleine Blutgefäße und Nervenzweige des zweiten Astes des fünften Paares gehen.

Deutlich zeigen sich diese drei Teile mit einem Blicke an einem Pferdeschädel: . Tafel, Figur .

An diesen Hauptteilen sind wieder viele Unterabteilungen zu bemerken und zu beschreiben. Eine lateinische Terminologie, die ich mit Beihilfe des Herrn Hofrat Loder verfertigt habe und hier beilege, wird dabei zum Leitfaden dienen können. Es hatte solche viele Schwierigkeiten, wenn sie auf alle Tiere passen sollte. Da bei dem einen gewisse Teile sich sehr zurückziehen, zusammenfließen und bei andern gar verschwinden, so wird auch gewiß, wenn man mehr ins Feinere gehen wollte, diese Tafel noch manche Verbesserung zulassen.

Os intermaxillare
A. Corpus.

a) Superficies anterior,
1. Margo superior in quo spina nasalis.
2. Margo inferior seu alveolaris.
3. Angulus inferior exterior corporis.
b) Superficies posterior, qua os intermaxillare jungitur apophysi palatinae ossis rnaxillaris superioris.
c) Superficies lateralis exterior, qua os intertnaxillare jungitur ossi rnaxillari superiori.
d) Superficies lateralis interior, qua alterum os intermaxillare jungitur alteri.
e) Superficies superior.
Margo anterior, in quo spina nasalis. vid. I.
4. Margo posterior sive ora superior canalis naso-palatini.
f) Superficies inferior.
5. Pars alveolaris.
6. Pars palatina.
7. Ora inferior canalis naso-palatini.

B. Apophysis maxillaris.
g) Superficies anterior.
h) Superficies lateralis interna.
8. Eminentia linearis.
i) Superficies lateralis externa.
k) Margo extetior.
l) Margo interior.
m) Margo posterior.
n) Angulus apophyseos maxillaris.

C. Apophysis palatina.
o) Extremitas anterior.
p) Extremitas posterior.
q) Superficies superior.
r) Superficies inferior.
s) Superficies lateralis interna.
t) Superficies lateralis externa.

Vielleicht wird es hier und da nicht sogleich in die Augen fallen, warum man diese und jene Einteilung festgesetzt und eine oder die andere Benennung gewählt hat. Es ist nichts ohne Ursache geschehen, und wenn man mehrere Schädel durchsieht und vergleicht, so wird die Schwierigkeit, deren ich oben schon gedacht, noch mehr auffallen.

Ich gehe nun zu einer kurzen Anzeige der Tafeln. Übereinstimmung und Deutlichkeit der Figuren wird mich einer weitläufigen Beschreibung überheben, welche ohnedies Personen, die mit solchen Gegenständen bekannt sind, nur unnötig und verdrießlich sein würde. Am meisten wünschte ich, daß meine Leser Gelegenheit haben möchten, die Schädel selbst dabei zur Hand zu nehmen.

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Tafel I Tafel II Tafel III

Die I. Tafel stellt den vorderen Teil der oberen Kinnlade des Ochsen, des Rehes und des Kameles verkleinert dar. Fig. I a b c vom Reh, Fig. 2 a b c vom Ochsen, Fig. 3 a b c vom Kamel.

Die II. Tafel das Os intermaxillare des Pferdes und des Babirussa verkleinert.

Tab. III. Fig. I. Das Os intermaxillare des Löwen von oben und unten. Man bemerke besonders die Sutur, welche Apophysin palatinam maxillae superioris von dem Osse intermaxillari trennt. Fig. 2 vorn Eisbär, Fig. 3 vom Wolf.

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Tafel IV Tafel V

Tab. IV. Fig. I. Das Os intermaxillare vom Walroß. Fig. 2. Dasselbe von einem ganz jungen Walroß. Fig. 3. Superficies lateralis interior des Ossis intermaxillaris des jungen Walrosses.

Tab. V. Fig. I zeigt einen Affenschädel von vorn und von unten. Man sehe, wie die Sutur aus den Canalibus incisivis herauskommt, gegen den Hundszahn zuläuft, sich an seiner Alveole vorwärts wegschleicht und zwischen dem nächsten Schneidezahne und dem Hundszahne, ganz nah an diesem letzteren, durchgeht und die beiden Alveolen trennt. Fig. 2 sind die Teile eines Menschenschädels. Man sieht ganz deutlich die Sutur, die das Os intermaxillare von der Apophysi palatina maxillae superiotis trennt. Sie kommt aus den Canalibus incisivis heraus, deren untere Öffnung; in ein gemeinschaftliches Loch zusammen fließt, das den Namen des Forarninis incisivi oder palatini anterioris oder gustativi führt, und verliert sich zwischen dem Hunds- und zweiten Schneidezahn.

Jene erste Sutur hatte schon Vesalius bemerkt* und in seinen Figuren deutlich angegeben. Er sagt, sie reiche bis an die vordere Seite der Hundszähne, dringe aber nirgends so tief durch, daß man dafür halten könne, der obere Kinnladenknochen werde dadurch in zwei geteilt. Er weist, um den Galen zu erklären, der seine Beschreibung bloß nach einem Tiere gemacht hatte, auf die erste Figur Pag. 46, wo er dem menschlichen Schädel einen Hundeschädel beigefügt hat, um den an dem Tiere gleichsam deutlicher ausgeprägten Revers der Medaille dem Leser vor Augen zu legen. Die zweite Sutur, die sich im Nasengrunde zeigt, aus den canalibus naso-palatinis herauskommt und bis in die Gegend der conchae inferioris verfolgt werden kann, hat er e nicht bemerkt. Hingegen finden sich beide in der großen Osteologie des Albinus bezeichnet. Er nennt sie Suturas maxillae superiori proprias.

In Cheseldens Osteographia finden sie sich nicht, auch in John Hunters Natural history of the human teeth ist keine Spur davon zu sehen; und dennoch sind sie an einem jeden Schädel mehr oder weniger sichtbar, und wenn man aufmerksam beobachtet, ganz und gar nicht zu verkennen.

Tab. V. Fig. 2 ist ein halber Oberkiefer eines gesprengten Menschenschädels und zwar dessen inwendige Seite, durch welche beide Hälften miteinander verbunden werden. Es fehlten an dem Knochen, wonach er gezeichnet worden, zwei Vorderzähne, der Hunds- und erste Backenzahn. Ich habe sie nicht wollen supplieren lassen, besonders da das Fehlende hier von keiner Bedeutung war, vielmehr kann man das Os intermaxillare ganz frei sehen. Man kann die Sutur von den Alveolen des Schneide- und Hundszahnes bis durch die Kanäle verfolgen. jenseits der Spinae oder Apophysi palatinae, die hier eine Art von Kamm macht, kommt sie wieder hervor und ist bis an die Eminentiam linearem sichtbar, wo sich die Concha inferior anlegt.

Man halte diese Tafel gegen Tab. IV, und man wird es bewundernswürdig finden, wie die Gestalt des ossis intermaxillaris eines solchen Ungeheuers, wie der Trichechus rosmarus ist, lehren muß, denselben Knochen am Menschen zu erkennen und zu erklären. Auch Tab. III Fig. I gegen Tab. IV Fig. 2 gehalten, zeigt dieselbe Sutur beim Löwen wie beim Menschen auf das deutlichste. Ich sage, nichts vom Affen. weil bei diesem die Übereinstimmung zu auffallend ist.

Es wird also kein Zweifel übrig bleiben, daß diese Knochenabteilung sich sowohl bei Menschen als Tieren findet, ob wir gleich nur einen Teil der Grenzen dieses Knochens an unserm Geschlechte genau bestimmen können, da die übrigen verwachsen und mit der oberen Kinnlade auf das genaueste verbunden sind. So zeigt sich an den äußeren Teilen der Gesichtsknochen nicht die mindeste Sutur oder Harmonie, wodurch man auf die Mutmaßung kommen könnte, daß dieser Knochen bei dem Menschen getrennt sei.

Die Ursache scheint mir hauptsächlich darin zu liegen: dieser Knochen, der bei Tieren so außerordentlich vorgeschoben ist, zieht sich bei dein Menschen in ein sehr kleines Maß zurück. Man nehme den Schädel eines Kindes oder Embryonen vor sich, so wird man sehen, wie die keimenden Zähne einen solchen Drang an diesen Teilen verursachen und die Beinhäutchen so spannen, daß die Natur alle Kräfte anwenden muß, um diese Teile auf das innigste zu verweben. Man halte einen Tierschädel dagegen, wo die Schneidezähne so weit vorwärts gerückt sind und der Drang sowohl gegeneinander als gegen den Hundszahn nicht so stark ist. Inwendig in der Nasenhöhle verhält es sich ebenso. Man kann, wie schon oben bemerkt, die Sutur des ossis intermaxillaris aus den canalibus incisivis bis dahin verfolgen, wo die ossa turbinata oder conchae inferiores sich anlegen. Hier wirkt also der Trieb des Wachstumes dreier verschiedener Knochen gegeneinander und verbindet sie genauer.

Ich bin überzeugt, daß denjenigen, die diese Wissenschaft tiefer durchschauen, dieser Punkt noch erklärbarer sein wird. Ich habe verschiedene Fälle, wo dieser Knochen auch bei Tieren zum Teil oder ganz verwachsen ist, bemerken können, und es wird sich vielleicht in der Folge mehr darüber sagen lassen. Auch gibt es mehrere Fälle, daß Knochen, die sich bei erwachsenen Tieren leicht trennen lassen, schon bei Kindern nicht mehr abgesondert werden können.

Bei den Cetaceis, Amphibien, Vögeln, Fischen, habe ich diesen Knochen teils auch entdeckt, teils sei Spuren gefunden.

Die außerordentliche Mannigfaltigkeit, in der er sich an den verschiedenen Geschöpfen zeigt, verdient wirklich eine ausführliche Betrachtung und wird auch selbst Personen auffallend sein, die an dieser so dürr scheinenden Wissenschaft sonst kein Interesse finden.

Man könnte alsdann mehr ins einzelne gehen und bei genauer stufenweiser Vergleichung mehrerer Tiere, vom Einfachsten auf das Zusammengesetztere, vom Kleinen und Eingeengten auf das Ungeheure und Ausgedehnte fortschreiten.

Welch eine Kluft zwischen dem os intermaxillare der Schildkröte und des Elefanten! Und doch läßt sich eine Reihe Formen dazwischen stellen, die beide verbindet. Das, was an ganzen Körpern niemand leugnet, könnte man hier an einem kleinen Teile zeigen.

Man mag die lebendigen Wirkungen der Natur im ganzen und großen übersehen, oder man mag die Überbleibsel ihrer entflohenen Geister zergliedern: sie bleibt immer gleich, immer mehr bewundernswürdig.

Auch würde die Naturgeschichte einige Bestimmungen dadurch erhalten. Da es ein Hauptkennzeichen unseres Knochens ist, daß er die Schneidezähne enthält. so müssen umgekehrt auch die Zähne, die in denselben eingefügt sind, als Schneidezähne gelten. Dein Trichechus rosmarus und dem Kamele hat man sie bisher abgesprochen, und ich müßte mich sehr irren, wenn man nicht jenem vier und diesem zwei zueignen könnte.

Und so beschließe ich diesen kleinen Versuch mit dem Wunsche, daß er Kennern und Freunden der Naturlehre nicht mißfallen und mir Gelegenheit verschaffen möge, näher mit ihnen verbunden, in dieser reizenden Wissenschaft, soviel es die Umstände erlauben, weitere Fortschritte zu tun.

 

Galens Büchlein von den Knochen ist, wenn man es auch noch so ernstlich angreift, für uns schwer zu lesen und zu nutzen; man kann ihm zwar eine sinnliche Anschauung nicht ableugnen; das Skelett wird zu unmittelbarer Besichtigung vorgezeigt, aber wir vermissen einen durchdachten methodischen Vortrag. Was in eine Einleitung gehörte, schaltet er zwischen die Darstellung ein; zum Beispiel inwiefern man Sutur und Harmonie unterscheiden oder für eins nehmen solle; er wendet sich von der regelmäßigen Struktur schnell zu den abweichenden; so hat er zum Beispiel kaum von den Stirn- und Schädelknochen geredet, als er gleich die Difformität der Spitz- oder Kegelköpfe umständlich abhandelt; er wiederholt sich in Verschränkungen, welches bei mündlichem Vortrag, in Gegenwart des zu demonstrierenden Körpers, wohl angehen möchte, jedoch die Einbildungskraft des Lesers verwirrt; er breitet sich in Kontroversen mit Vorfahren und Gleichzeitigen aus. denn weil man damals die Knochen partienweise als ein Ganzes zusammennahm, und die Teile desselben durch Zahlen unterschied, so konnte man weder einig werden, was man zusammenfassen, noch wieviel Teile man zählen solle; wie man sich denn auch noch ferner über Eigenschaft, Beziehung, Verwandtschaft entzweien mochte.

Alles dieses soll die Ehrfurcht für einen außerordentlichen Mann keineswegs vermindern, sondern uns nur rechtfertigen, wenn wir so kurz als möglich das, was uns hier berührt, zusammenfassen; dieses aber ist gegenwärtig nur – daß Galen bei Beschreibung des Schädels, und zwar offenbar des Menschenschädels, unsres Zwischenknochens gedenkt. Er sagt im dritten Kapitel. das Wangenbein (bei uns die obere Kinnlade) enthalte die Alveolen aller Zähne, außer der Schneidezähne; er wiederholt dasselbe im vierten, indem er spricht: die zwei großen Wangenbeine enthalten fast alle Zähne, wie wir schon gemeldet. Im fünften Kapitel, bei Aufzählung der Zähne, nennt er die vier vordern als Schneidezähne, tut aber des besondern Knochens nicht Erwähnung, in welchem sie eingefügt sind. Im dritten Kapitel spricht er von einer Sutur, die von der Nasenwurzel anfängt, ihren Weg an der Nase her abwärts verfolgt und zwischen dem Hundszahn und den Schneidezähnen ausläuft.

Hieraus ist nun auf das deutlichste ersichtlich, daß er den Zwischenknochen gekannt und gemeint; ob er aber solchen am Menschen gesehen, wird wohl immer zweifelhaft bleiben.

Hierüber sind denn in der Folge manche Streitigkeiten entstanden, die sich kaum in den letzten Tagen entschieden haben; einiges zur Literaturgeschichte dieser Differenzen lege aus ältern Kollektaneen hier zu.

Vesalius, De humani corporis fabrica (Basil. 1555.) Lib. I, cap. IX, fig. II, pag. 48 hat eine Zeichnung von der basi cranii von untenauf anzusehen, und auf dieser ganz deutlich die Sutur, welche das os intermaxillare mit dem osse maxillari superiori an der apophysi palatina des letztern Knochens verbindet, und die bei uns superficies lateralis exterior corporis, qua os intermaxillare jungitur ossi maxillari superiori, heißt. Um die von ihm angeführte Stelle deutlich zu machen, merke ich noch an, daß beim Vesal das os zygomaticum den Namen des ossis primi maxillae superioris, das os unguis den Namen des ossis secundi maxillae superioris, das os ethmoideum den Namen des ossis tertii maxillae superioris, und das os maxillare superius den Namen des ossis quarti maxillae superioris führt.

Die Stelle bei ihm heißt so:

z privatim indicatur foramen in anteriori palati sede posteriorique dentium incisoriorum regione apparens (dies ist nämlich der Ausgang von den canalibus naso-palatinis, wo sie gleichsam ein orificium commune bilden).- ad cujus latus interdum obscura occurrit sutura, tra’nsversim aliquousque in quarto superioris maxillae osse prorepens, et a insignita.

Diese von ihm mit a bezeichnete ganz deutlich abgebildete Sutur ist die Sutur quaest. Cap. XII, Fig. II, pag. 60 hat er ebenfalls eine solche Zeichnung von der basi cranii, an welcher er die foramina baseos cranii beschrieben hat. Auch da kommt die Sutur vor, aber nicht so deutlich.

Leveling in seiner anatomischen Erklärung der Originalfiguren von Andreas Vesal (Ingoistadt i783), hat die erste Vesaliussche Figur Buch I, pag. 13, Fig. II, und erklärt pag. 14 das z und a so:

z das andere Gaumenloch oder Schneideloch. a eine bei diesem Loch öfters befindliche Naht, welche vorwärts an dem Gaumen, gleich hinter den Schneidezähnen in die Quere fortläuft. Die zweite Figur von Vesal hat Leveling pag. 16. Die Sutur, welche Vesalius mit a bezeichnet hat, beschreibt er Lib. I. cap. IX- p. 52 so: ad hujus foraminis (nämlich des canalis naso-palatini) latera interdum sutura apparet, aut potius linea, in pueris cartilagine oppleta, cluae quasi ad caninorum dentium anterius latus pertingit, nusquam tamen adeo penetrans, ut hujus suturae beneficio, quartum maxillae os in plura divisum censeri queat (am Rande zitiert er hier Fig. I. canina calvaria lit. n. p. 46, wo die Sutur zwischen dem osse intermaxillari und den ossibus maxillae superioris, die wir mit keinem besondern Namen bezeichnet haben und die margo exterior superficiei anterioris corporis heißen könnte, an einem Hundeschädel deutlich abgebildet ist) – quod, ut paullo post dicam, canibus et simiis porcisque accidit, in quibus sutura quartum os in duo dividens, non solum in palato, verum exterius in anteriori maxillae sede, etiam conspicue cernitur, nullam appendicum cum suis ossibus coalitus speciem referens.

Noch eine Stelle gehört hierher: pag. 53, wo Vesal von einigen Verbesserungen redet, die er in Galens Beschreibung dieser Knochen zu machen für nötig gefunden:

Secundam (nämlich suturam) vero numerat (nämlich Galenus) hujus suturac partem in anteriori maxillae sede occurrentem, quae ab illa malae asperitate sursum ad medium inferioris ambitus sedis oculi pertingit. Hane postmodum tripartito ait discindi, ac primam hujus secundae suturae partem prope magnum seu internum ocuii sedis angulum exteriori in parte ad medium superciliorum, et communem frontis et maxillae suturam inquit procedere. Hac suturac parte homines destituuntur, verum in canibus caudatisque siniis est manifestissima, quamvis interim non exacte ad superciliorum feratur medium, sed ad eam tantum sedem, in qua quartum maxiliae os a secundo dirimitur. Ut itaque Galenum assequaris, hanc partem ex canis petes calvaria.

Winslow, Exposition anatomique de la structure du corps humain, Tome I. Nr. 782. p. 73: Je ne parle pas ici de la séparation de cet os (de l’os maxillaire supérieur) par une petite suture transversale, derriere le trou incisif, parce qu’elle ne se trouve pour l’ordinaire que dans la jeunesse et avant l’ossification achevée.

Eustachius hat in seinen tabulis anatomicis, die Albinus ediert hat, Tab. 46. Fig. 2 einen Affenschädel von vorn her anzusehen, neben einem Menschenschädel gezeichnet, und bei erstem das os intermaxillare sehr deutlich ausgedrückt. Albinus sagt in der Erklärung der zweiten Figur von dem osse intermaxillari des Affen, das er bezeichnet, bloß: os quod dentes incisores continet.

Sue, im Traité d’Ostéologie de M. Monro, hat weder die Sutur des ossis intermaxillaris an der Apophysi palatina ossis maxillaris superioris gezeichnet, noch beschrieben.

Die Hasenscharte, besonders die doppelte, deutet gleichfalls auf das os incisivum; bei der einfachen spaltet sich die mittlere Sutur, welche beide Seiten vereinigt, bei der doppelten trennt sich der Zwischenknochen von der obern Kinnlade, und weil sich alle Teile aufeinander beziehen, so spaltet sich zugleich die Lippe. Sieht man nun das os intermaxillare als ein abgesondertes an, so begreift man, wie es, um die Kur zu bewirken, herausgekneipt werden kann, ohne daß die obere Kinnlade beschädigt, zersplittert oder krankhaft affiziert werde. Die wahre Ansicht der Natur nützt jeder Praxis.

Selbst an den Schädeln ungeborner oder junger Kinder findet sich doch eine Spur, quasi rudimentum, des ossis intermaxillaris; je unreifer dieembryonen, desto deutlicher. An einem Hydrocephalo sah ich zwei völlig abgesonderte kleine Knochenkerne, und bei erwachsenen jugendlichen Köpfen ist doch oft noch vorn am Gaumen eine Sutura spuria zu merken, welche die vier incisores gleichsam vom übrigen limbus dentium absondert.

Jacobus Sylvius sagt gar: Cranium domi habeo, in quo affabre est expressa sutura in gena suoerna ab osse frontis secundum nasum, per dentium caninorum alveolos, in palatum tendentern, quam praeterea aliquoties absolutissimam conspexi et spectandam auditoribus circiter 400 exhibui; und, um seinen armen Galen gegen Vesal zu retten, glaubt er: vor alters hätten die Menschen alle ein separates os intermaxillare gehabt, das sich nach der Hand, durch Debauchen und zunehmenden Luxus der Nachwelt verloren. Das ist zwar arg, aber noch ärger ist, daß Renatus Hener in Apologia, aus der ganz alten Geschichte umständlich und mühselig erweist: die alten Römer hätten damals ebenso liederlich gelebt als die jetzige Welt. Er führt zu dem Behuf alle römischen Leges sumtuarias an.

Über die vel quasi Spur eines rudimenti ossis intermaxillaris bei Foetibus habe ich mich wohl nicht deutlich genug ausgedrückt. Auf der Außenseite (im Gesicht) ist sie nicht leicht merklich. Aber unten am Gaumen und bei einzelnen ossib. maxill., auch an der einen Nasenfläche bald mehr, bald minder kenntlich. Zuweilen erhalten sich die Vestigia am Gaumen auch noch bei Adolescentibus und in einem schönen Hydrocehalo ist es von der einen Seite (aber freilich praeter naturam) ganz separat, als ein einzelnes Knöchelchen.

Fallopius beschreibt es Observationes anatomicae, p. 35b Dissentio ab iis qui publice testantur reperiri suturam sub palato per transversurn ad utrumque caninum pertinentem, quae in pueris pateat, in adultis vero ita obliteretur, ut nullum ipsius relinquatur vestigium. Nam reperio hanc divisionem vel rimam potius esse quam suturarn, cum os ab osse non separetur, neque in exterioribus appareat.

Dem widerspricht der bärbeißige Eustach, Ossium examen, p. 194 sq., die Sutur sei auch in Erwachsenen da: et palatum supra infraque dirimit. Aber er scheint Fallopium nicht zu verstehen oder nicht verstehen zu wollen, und von der Harmonia zwischen parte palatina ossis maxillaris und den ossibus palati selbst zu sprechen.

Albiaus, Icon. oss. foetus p. 36. os maxillare superius in parvulis saepe inveni coristans ex aliquot frustulis, quae tamen cito confluunt in os unurn. Tab. V. f. 33m: fissura quae palaturn ex transverso secat, pone dentes incisores; abiens deinde in suturae speciem.

Und selbst bei Adultis in Tab. ossium t. I. 2. f. I k Sutura ossis maxillaris propria. Aber wie gesagt, es ist noch himrnelweit vom wahren osse intermaxillari verschieden; etwa wie membrana semilunaris oculi humani von membrana nictitans des Kibitz, der sie erstaunlich groß hat.

Vorstehende Auszüge aus alten und neuen Schriften, auch aus brieflichen Mitteilungen lebender Naturfreunde, geben uns ein auffallendes Beispiel, wie dieselbe Sache von mehr als einer Seite betrachtet, und etwas, das in Zweifel schwebt, so gut bejaht als verneint werden kann. Was uns betrifft, so sind wir völlig beruhigt, wenn wir eine vieljährige fruchtbare Überzeugung zum Schlusse nochmals wiederholen. dem Menschen wie den Tieren sei ein Zwischenknochen der obern Kinnlade zuzuschreiben.

Jena, 1819

 

Die beiden nach vieljährigem Zaudern mitgeteilten Aufsätze, sowie die darauf folgenden Literaturnotizen, wurden abgedruckt, wie sie sich in den Papieren gefunden; nun bleibt zu besserem Verständnis noch einiges zu sagen übrig, welches in verschiedenen Abteilungen geschehen soll.

I. Erste Anregung zu diesen Studien, durch Versetzung des Weimarischen Kunst- und Naturalienkabinetts nach Jena. Naturwissenschaftliche Anstalten daselbst; wissenschaftliches und praktisches Bemühen, unausgesetzte folgerechte Behandlung.

II. Wie es mit den Zeichnungen ergangen.

III. Von schriftlichen ausführlichen Beschreibungen und was daraus erfolgt.

IV. Später verneinender Nachklang zu Ende des Jahrhunderts.

V. Wie man im Bearbeiten des Hauptschema weiter verfahren.

VI. Wie man verschiedene einzelne Teile in Wirklichkeit parallel gestellt.

VII. Probeblatt einer Tabelle, um die osteologischen Erfahrungen gleich methodisch einzutragen und zweckmäßig zu sammeln.

VIII. Inwiefern von den Wirbelknochen die Schädelknochen abzuleiten seien, und auch Gestalt und Funktion dorther zu erklären sein möchte?

I.

Die Weimarische Kunstkammer, vom Herzog Wilhelm Ernst im Jahre 1700 angelegt, enthielt, unter andern Merkwürdigkeiten, auch manche bedeutende Naturseltenheit. Wie das Erstaunen immer den ersten Reiz zur Wissenschaft gibt, so war damals das Interesse an der Tiergeschichte durch das Seltsam-Ungeheure erregt. Dieser Neigung verdanken wir die Grundlage und auffallend merkwürdige Körper unsers osteologischen Museums.

Und so drangen dergleichen Gegenstände gar bald in das Mittelland, da man kaum fünfzig Jahre vorher erst in den Küstenländern, nachdem man sich mit Gold, Gewürz und Elfenbein überfüllt hatte, auch in naturhistorischem Sinne anfing, obgleich noch sehr verworren und unvollständig, fremde Naturprodukte zu sammeln und aufzubewahren.

Wir besitzen einen völlig ausgewachsenen, wohl erhaltenen Elefantenschädel, zugleich mit der Unterkinnlade und einigen einzelnen Eckzähnen.

Die zu einer stumpfen Säule zusammengewachsenen Halswirbelknochen des Walfisches, auch Schulterblätter des Ungeheuers, mit Schiffen bemalt, um das Wundersame dieser breiten Knochenfläche zu erhöhen. Ferner sieht man zwei Rippen und eine Unterkinnlade des Riesenhauptes; sie hat eine Länge von zweiundzwanzig Leipziger Fuß, wonach man die Größe des Tieres ermessen kann.

Große Schildkrötendecken hatte man anzuschaffen auch nicht verfehlt; sodann richtete sich die Aufmerksamkeit auf andere tierische Teile, merkwürdig durch Abweichung und Umbildung solcher Gestalten, die uns gewöhnlich umgeben; Antilbpenhörner aller Art und Verwandtschaft; ferner die langen, vorwärts gesenkten spitzen Hörner des indischen Büffels, welche uns durch Kapitän Thomas Williamsons indische Jagdstücke erst recht merkwürdig geworden. Alles dieses, nebst manchen andern Dingen, als einem Krokodil, einer Riesenschlange und so fort, wurden nach Jena gebracht, als bedeutender Grund einer größeren Sammlung.

Die Vermehrung geschah nach und nach, indem die Skelette von Haus-, Feld- und Waldtieren der Umgegend angeschafft wurden. Die Geschicklichkeit des Kustos Dürrbaum, der sich mit dergleichen Dingen gern beschäftigte, förderte die Anstalt in kurzer Zeit.

Da nach Entfernung des von Loderischen Kabinetts sogleich Anstalt getroffen wurde, eine künftig bleibende Sammlung in demselben Lokal einzurichten, so geschah dieses durch die Sorgfalt der Herren Ackermann und Fuchs, welche sich der Geschicklichkeit des Prosektors Homburg zu diesem Zweck zu bedienen wußten, indem sie neben der menschlichen Anatomie auch manches für Tierzergliederung Bedeutendes zugleich mit ausarbeiten ließen.

Bisher hatten alle fremden und einheimischen Knochenpräparate in dem zoologischen Kabinett, neben ausgestopften und in Spiritus aufbewahrten Geschöpfen, Platz genommen; bei wachsender Menge jedoch fand sich Gelegenheit, einen großen Saal einzurichten, welcher jetzt fast wieder zu klein scheint: denn durch immer wirkende Sorgfalt Ihro K.H. des Großherzogs von Sachsen-Weimar und Eisenach wurde, was von vorzüglich gebildeten Pferden dem fürstlichen Stalle, oder von bedeutenden seltnen Haustieren den ökonomischen Anstalten verloren ging, für Wissenschaft zum Vorteil verwendet und die Skelette zu genannter Anstalt eingebracht. Nicht weniger, was den mit Tieren herumziehenden Fremden hie und da verunglückte, sowohl in der Nähe als auch aus der Ferne herbeigeschafft. Wie denn einst, bei großer Kälte, ein zu Nürnberg verendeter Tiger, mit der fahrenden Post, stark gefroren anlangte und noch jetzt, ausgestopft und skelettiert, unsern Museen zu vorzüglichem Schmuck gereicht.

In der neusten Zeit jedoch brachte Ihro K.H. Aufenthalt in Wien, wie andern Anstalten, also auch den unsrigen die bedeutendsten Vorteile. Herr Direktor von Schreibers ward unserm Vorhaben geneigt, und dieser ebenso kenntnisreiche als tätige und gefällige Freund hat nicht aufgehört, uns mit den wünschenswertesten Körpern zu versehen. Wir verdanken ihm die Skelette der Gemse, des Bibers und Känguruh; den Strauß und Reiher, die Gehörwerkzeuge mehrerer Vögel, wie solche in Wien auf das netteste ausgearbeitet werden; die Skelette der Eidechse im ganzen und in die kleinsten Teile gesondert, sowie der Schildkröte; unzählige Einzelheiten, und alle bedeutend und unterrichtend.

Der Gebrauch dieser Sammlungen war, sogleich von ihrer ersten Einrichtung an, bei Vorlesungen über menschliche Anatomie eingeleitet; weil auf die sich immer mehr ausbildende Zootomie notwendig Rücksicht genommen werden mußte. Auch ich von meiner Seite verfehlte nicht, belehrende Exemplare und Präparate um mich zu sammeln; in manchem Sinn zersägte und zersplitterte Schädel und andere Knochen, um sowohl vorsätzliche als zufällige Einsicht in den inneren Bau des wichtigen Knochengebäudes zu erlangen.

Die eigentliche Bestimmung aber der sowohl zu meinem eignen besondern, als zum öffentlichen und allgemeinen Zweck versammelten Gegenstände ward erst erfüllt, als nach allgemeinen Wünschen und längst tief gefühltem Bedürfnis die Einrichtung einer Veterinärschule beliebt wurde. Herr Professor Renner ward berufen und trat sein Amt an, ehe noch die nötige Einrichtung gemacht werden konnte, und nun sah ich mit Vergnügen meine sonstigen, bisher unter Staub und Moder beseitigten Präparate wieder lebendig und nützlich werden und meine Anfänge den Anfängen einer höchst bedeutenden Anstalt zugute kommen. Eine obgleich unterbrochene, doch nie getilgte Tätigkeit fand hierin ihre angemessenste Belohnung – denn bei jedem redlichen, ernstlichen Handeln, wenn auch anfangs Zweck und Beruf zweifelhaft scheinen sollten, finden sich beide zuletzt klar und erfüllt. jedes reine Bemühen ist auch ein Lebendiges, Zweck seiner selbst, fördernd ohne Ziel, nützend, wie man es nicht voraussehen konnte.

Und von diesen vielfachen und ineinander greifenden Anstalten sei noch so viel gesagt. für die Veterinärschule, für eine so weit aussehende Unternehmung, wurde ein hinreichendes Lokal, der sogenannte Heinrichsberg, angekauft, die nötigen Baulichkeiten besorgt, und da, glücklicherweise, unter Anleitung des Herrn Hofrat Fuchs, sich ein junger Mann namens Schröter herangebildet hatte und sich im Besitz der nötigen Eigenschaften eines Prosektors befand, so ist, bei unermüdlicher Direktion des Vorstehers, schon jetzt auf dem Heinrichsberge gleichfalls ein zootomisches Kabinett der übrigen Systeme des Tierkörpers, in bezug auf jenes osteologische, im glücklichen Werden und Gedeihen; die Hauptpräparate zu didaktischen Zwecken sind, sorgfältig ausgeführt, vorhanden.

Es unterscheiden sich also in Jena drei Museen, deren Inhalt, nach ihrer sukzessiven, gewissermaßen zufälligen Entstehung, nicht streng abgeteilt ist; sie greifen aber dergestalt ineinander, daß sowohl Direktoren als Kustoden sich wechselsweise, bei vorkommenden wissenschaftlichen Bedürfnissen, an Handen gehen und das Nötige einander mitteilen. Das eine Kabinett jedoch enthält vorzüglich menschliche Anatomie, das zweite tierische Osteologie, beide befinden sich innerhalb der Räume des fürstlichen Schlosses; das dritte, bei der Veterinärschule, enthält, was sich Osteologisches vorzüglich auf Haustiere bezieht, auch die übrigen Systeme des tierischen Körpers, Muskeln, Arterien, Venen, Lymphatisches, Nerven und so weiter.

II.

Als ich mich zu Anfang der Achtziger Jahre, unter Hoftat Loders Anleitung und Belehrung, viel mit Anatomie beschäftigte, war mir die Idee der Pflanzenmetamorphose noch nicht aufgegangen; allein ich arbeitete eifrig auf einen allgemeinen Knochentypus los und mußte deshalb annehmen – daß alle Abteilungen des Geschöpfes, im einzelnen wie im ganzen, bei allen Tieren aufzufinden sein möchten weil ja auf dieser Voraussetzung die schon längst eingeleitete vergleichende Anatomie beruht. Hier trat nun der seltsame Fall ein, daß man den Unterschied zwischen Affen und Menschen darin finden wollte, daß man jenem ein os intermaxillare, diesem aber keines zuschrieb; da nun aber genannter Teil darum hauptsächlich merkwürdig ist, weil die oberen Schneidezähne darin gefaßt sind, so war nicht begreiflich, wie der Mensch Schneidezähne haben und doch des Knochens ermangeln sollte, worin sie eingefagt stehen. Ich suchte daher nach Spuren desselben und fand sie gar leicht, indem die canales ineisivi vorwärts die Grenze des Knochens bezeichnen, und die von da aus, nach den Seiten zu, auslaufenden Suturen gar wohl auf eine Absonderung der maxiiia superior hindeuten. Loder gedenkt dieser Beobachtung in seinem anatomischen Handbuch 1787 S. 89, und man dünkte sich viel bei dieser Entdeckung. Umrisse wurden gemacht, die das Behauptete klar vor Augen bringen sollten, jene kurze Abhandlung dazu geschrieben, ins Lateinische übersetzt und Campern mitgeteilt; und zwar Format und Schrift so anständig, daß sie der treffliche Mann mit einiger Verwunderung aufnahm, Arbeit und Bemühung lobte, sich freundlich erwies, aber nach wie vor versicherte, der Mensch habe kein os interrnaxillare.

Nun zeugt es freilich von einer besondern Unbekanntschaft mit der Welt, von einem jugendlichen Selbstsinn, wenn ein laienhafter Schüler den Gildemeistern zu widersprechen wagt, ja was noch törichter ist, sie zu überzeugen gedenkt. Fortgesetzte vieljährige Versuche haben mich eines andern belehrt, mich belehrt: daß immerfort wiederholte Phrasen sich zuletzt zur Überzeugung verknöchern und die Organe des Anschauens völlig verstumpfen. Indessen ist es heilsam, daß man dergleichen nicht allzu zeitig erfährt, weil sonst jugendlicher Frei- und Wahrheitssinn durch Mißmut gelähmt würde. Sonderbar schien es, daß nicht nur die Meister auf dieser Redensart beharrten, sondern auch gleichzeitige Mitarbeiter sich zu diesem Credo bequemten.

Wir dürfen indessen nicht ermangeln, das Andenken eines jungen geschickten Zeichners, namens Waitz, zu erneuern, der, in dergleichen Arbeiten geübt, sowohl Umrisse als ausgeführte Nachbildungen fortsetzte, indem wir entschlossen waren kleine Abhandlungen dieser Art, die etwas Bedeutendes im anatomischen Felde berühren und erregen sollten, mit sorgfältigen Kupfern drucken zu lassen. Hier sollte der bestrittene Knochen von seiner größten Einfalt und Schwäche bis zu seiner Gedrängtheit und Kraft in einer reinen Folge dargestellt werden, und wie er sich zuletzt im edelsten Geschöpfe, dem Menschen, aus Furcht tierische Gefräßigkeit zu verraten, schamhaft verberge.

Was aber von Zeichnungen jener Zeit übrig geblieben, werde zunächst bemerkt. Da man von dem Einfachsten zum Zusammengesetzteren, vom Schwächeren zum Stärkeren überzugehen die Absicht hatte, so wählte man zuerst das Reh, wo der fragliche Knochen schwach, bügelartig und zahnlos erscheint; man ging zum Ochsen über, wo er sich verstärkt, verflucht und verbreitet. Das Kamel war seiner Zweideutigkeit wegen merkwürdig, das Pferd entschiedener, in Absicht der Schneidezähne, der Eckzahn klein. Dieser ist groß und stark am Schweine, monstros an Sus babirussa, und doch behauptet überall der Zwischenknochen seine vollkommenen Rechte. Am Löwen vollgedrängt und körperhaft, mächtig durch sechs Zähne – stumpfer am Bären; vorgestreckter am Wolf; das Walroß, wegen seiner perpendikularen Gesichtslinie, wird dem Menschen ähnlich, der Affe erhebt sich noch mehr, wenn er schon artenweise in die Bestie zurücktritt, und endlich stellt der Mensch sich ein, wo sich nach allem Vorgekannten diese Knocheneinteilung nicht verkennen läßt. Diese mannigfaltigen Knochengestalten hatte man zu besserer Ein- und Übersicht meist von oben, unten und von der Seite zeichnen lassen, sie sind reinlich und deutlich schattiert, unter Rahmen und Glas gebracht, und stehen in dem Jenaischen Museum einem jeden zur Ansicht frei. Von den an obiger Sammlung fehlenden waren zum Teil schon Skizzen gemacht, andere Körper wurden angeschafft; aber der Tod des jungen Künstlers, der sich in die Sache zu fügen gewußt, und andere Zwischenfälle störten die Vollendung des Ganzen, wie man denn bei fortdauerndem Widerspruch die Lust verlor, von einer so klaren und deutlichen Sache immerfort tauben Ohren zu predigen.

Was man aber unter den Jenaischen Abbildungen den Freunden der Wissenschaft gar wohl empfehlen darf, sind vier Zeichnungen nach dem Kasseler Elefantenschädel, den ich durch Sömmerrings Gunst und Gefälligkeit zu benutzen in den Stand gesetzt war. Dieses junge Subjekt, das in Deutschland sein Leben nicht fristen konnte, zeigt uns in seinen Resten die meisten Suturen, wenigstens an einer Seite unverwachsen; die Zeichnungen, und zwar des ganzen Schädels, sind nach gleichem Maßstabe verkleinert und von vier Seiten genommen, so daß man den Zusammenhang des Ganzen gar wohl daran erkennen kann, und was uns hier am meisten berührt, so spielt vor allen das os intermaxillare eine große Rolle; es schlägt sich wirklich um den Eckzahn herum, daher denn auch, bei flüchtiger Beobachtung, der Irrtum entstanden sein mag.- der ungeheure Eckzahn sei im os intermaxillare enthalten. Allein die Natur, die ihre großen Maximen nicht fahren läßt, am wenigsten in wichtigen Fällen, ließ hier eine dünne Lamelle, von der obern Kinnlade ausgehend, die Wurzel des Eckzahns umgeben, um diese organischen Uranfänge vor den Anmaßungen des Zwischenknochens zu sichern.

Zu fernerer Vergleichung ließ man den großen ausgewachsenen Elefantenschädel des Museums [Act. Acad. Caes. Leop-Car. Nat. Cur. Torn. XII Tab. XXXVJ gleichfalls zeichnen, da denn sehr wunderbar auffällt- wenn bei dem jungen Subjekt die obere Kinnlade und das os intermaxillare schnabelartig hervorstreben, und der ganze Kopf in die Länge gezogen erscheint, dagegen am ausgewachsenen das Ganze in ein beinahe regelmäßiges Quadrat einzuschließen ist.

Wie ernst es aber überhaupt mit diesen Arbeiten gewesen, erhellt auch daraus.- daß, nach gedachten Zeichnungen, zwei Kupferplatten, in Kleinfolio, von Lips auf das sauberste gestochen worden, zum Behuf ausführlicher Abhandlungen, die man sich vorgesetzt hatte. Abdrücke davon hat man gleichfalls, Wissenschaftsfreunden zuliebe, aufgestellt.

Nach allem diesem wird man uns verzeihen, wenn der erste Entwurf unserer Arbeit ohne die darin beschriebenen Tafeln vorgelegt worden; besonders wenn man betrachtet, daß diese edle Wissenschaft seit jener Zeit erst recht ausgebreitet und belebt ist. Kaum wird sich ein Liebhaber finden, der nicht entweder in öffentlichen Museen, oder in seiner Privatsammlung, alle diejenigen Körper und Präparate besäße, von denen hier die Rede war; sollte es aber ja daran fehlen, so kann man sich aus dem bedeutenden Werke der Kraniologie des Herrn Spix aufs beste belehren, wo Abbildung und Beschreibung die Frage völlig außer Zweifel setzen.

Wir finden zuerst Seite 19 klar und unumwunden ausgesprochen: daß auch am Schädel des Menschen das os intermaxillare nicht zu leugnen sei. Ferner wird dasselbe auf den Linearzeichnungen beim Menschen sowohl als den Tieren mit No. 13 bezeichnet. Dadurch wäre nun die Sache für ewig abgetan, wenn nicht der unserem Geschlecht eingeborne Widerspruchsgeist, wo nicht in der Sache, doch wenigstens in Ansicht und Wort, Anlaß zu Verneinung des anerkanntesten Wahren zu finden wüßte. In der Methode selbst des Vortrags liegt schon der Grund des Gegensatzes – wo der eine anfängt, hört der andere auf, wo der eine trennt, verbindet der andere, so daß zuletzt bei dem Hörer ein Schwanken entsteht, ob nicht beide recht haben? So darf auch endlich nicht unbemerkt bleiben daß, in dem Laufe des Sprechens über diesen Gegenstand bedeutende Männer zuletzt die Frage aufwarfen: ob es denn wirklich der Mühe wert sei, darauf immer wieder zurückzukommen? Sollen wir auch hierüber aufrichtig sprechen, so ist dieses Ablehnen schlimmer als Widerspruch, denn es enthält ein Verneinen des Interesses, wodurch jedes wissenschaftliche Streben völlig aufgehoben wird.

Doch fehlte auch Aufmunterung keineswegs. So sagte Freund Sömmerring in seiner Knochenlehre, 179 1, S. 160 – «Goethes sinnreicher Versuch aus der vergleichenden Knochenlehre, daß der Zwischenknochen der Oberkinnlade dem Menschen mit den übrigen Tieren gemein sei, von 1785, mit sehr richtigen Abbildungen, verdiente öffentlich bekannt zu sein.»

III.

Aber nicht allein mit bildlichen Darstellungen, sondern auch mit wörtlichen Beschreibungen wollte man die Arbeit ausstatten; denn Bild und Wort wetteifern unablässig, Naturgeschichte näher zu bestimmen und weiter zu verbreiten. Nun diente jenes oben aufgestellte Schema zur Grundlage, und man beschrieb den Zwischenknochen nach allen seinen Teilen durchaus in jener Ordnung, es mochte ein Tierschädel vorkommen welcher wollte. Dadurch häufte sich aber gar vieles Papier, das man bei näherer Ansicht zu einer freien und anschaulichen Mitteilung unbrauchbar fand; hartnäckig jedoch auf dein gefaßten Vorsatz beharrend, behandelte man dies als Vorarbeit und fing an nach derselben zwar genaue, aber fließende und dem Stil nach wohlgefälligere Beschreibungen auszuarbeiten.

Aber alle diese Hartnäckigkeit führte nicht zum Ziel, indem die Arbeiten, mehrmals unterbrochen, keinen klaren Begriff gaben, wie dasjenige zu vollenden sei, von dessen Wahrhaftigkeit und Interesse man sich so lebhaft überzeugt hatte. Zehn Jahre waren verflossen und mehr, als meine Verbindung mit Schiller mich aus diesem wissenschaftlichen Beinhaus in den freien Garten des Lebens rief Meine Teilnahme an seinen Unternehmungen, an den Horen, den Musenalmanachen, den dramatischen Vorsätzen und aus mir selbst hervorgerufene eigene Arbeiten, als Hermann und Dorothea, Achilleis, Cellini, eine neue Aussicht nach Italien und endlich eine Reise nach der Schweiz, entfernten mich entschieden von jenen Arbeiten und Vorarbeiten, so daß von der Zeit an Staub und Moder sich über Präparaten und Papieren aufhäuften, denen ich eine fröhliche Auferstehung an der Hand eines jüngeren Freundes zu wünschen nicht unterließ. Auch hätte ich diese Hoffnung wohl erfüllt gesehen, wenn nicht gleichzeitige Menschen, oft durch Umstände oder Eigenheiten, anstatt miteinander zu wirken, gegeneinander zu arbeiten veranlaßt würden.

IV.

Gotthelf Fischer, ein jüngerer Mann, der mir in diesem Fache rühmlich bekannt war, gab im Jahr 1800 eine Schrift heraus. Über die verschiedene Form des Interrnaxillarknochens in verschiedenen Tieren. Seite 17 erwähnt er meine Bemühung, indem er spricht. «Goethens sinnreicher Versuch aus der Knochenlehre, daß der Zwischenknochen der Obermaxille dem Menschen mit den übrigen Tieren gemein sei, ist mir unbekannt geblieben, und ich muß besonders bedauern, daß mir entgangen ist, seine schönen Zeichnungen über diesen Gegenstand zu sehen. Überhaupt wäre es zu wünschen, daß dieser feine Beobachter seine scharfsinnigen Ideen über die tierische Ökonomie, mit philosophischen durchwebt, bald der gelehrten Welt mitteilen möchte.»

Hätte dieser kenntnisreiche tätige Mann nun, in Gefolg einer allgemeinen Nachricht, sich mit mir in nähere Beziehung gesetzt und sich von meinen Überzeugungen durchdringen können, so würde ich ihm gerne Manuskripte, Zeichnungen und Kupfer abgetreten haben, und die Sache wäre schon damals ins gleiche gekommen, anstatt daß noch mehrere Jahre hingingen, eh eine nützliche Wahrheit konnte anerkannt werden.

V.

Als, in Gefolg einer treuen und fleißigen Behandlung der Pflanzenmetamorphose, das Jahr 1790 mich mit erfreulichen und neuen Aussichten auch über tierische Organisation beglückte, wandte sich mein ganzes Bestreben gegen diesen Teil, ich fuhr unermüdet fort zu beobachten, zu denken und zu ordnen, wodurch sich die Gegenstände immer mehr vor mir aufklärten. Dem Seelenkenner wird es, ohne weiteren geschichtlichen Beleg, einleuchtend sein – daß ich durch eine produktive Leidenschaft in diese schwerste aller Aufgaben getrieben ward. Der Geist übte sich an dem würdigsten Gegenstande, indem er das Lebendige nach seinem innersten Wert zu kennen und zu zergliedern suchte; aber wie sollte ein solches Streben einen glücklichen Erfolg haben, wenn man ihm nicht seine ganze Tätigkeit hingäbe?

Da ich aber aus eignem Willen und zu eignen Zwecken in diese Region gelangt, so mußte ich mit eignen frischen

Augen sehen, und da konnt ich bald bemerken. daß die vorzüglichsten Männer vom Handwerk wohl einmal nach Überzeugung aus dem herkömmlichen Gleis auf die Seite bogen, aber den eingeschlagenen Hauptweg nicht verlassen, sich auf eine neue Fahrt nicht einlassen durften, weil sie ja die gebahnte Straße und zugängliche Gegenden ihrem und anderer Vorteil gemäß zu befahren am bequemsten fanden. Gar manche andere wunderbare Entdeckung konnte mir nicht entgehen, zum Beispiel daß man sich auch im Sonderbaren und Schwierigen gefiel, damit nur einigermaßen etwas Merkwürdiges zum Vorschein käme.

Ich aber verharrte auf meinem Vorsatz und Gang und suchte alle Vorteile ohne Rücksicht zu nutzen, die sich beim Absondern und Unterscheiden gern und willig darbieten und unsäglich fördern, wenn wir nur nicht zu weit gehen und zu rechter Zeit wieder zu verknüpfen wissen. Die Behandlung unserer Urväter, wie wir sie bei Galen und Vesal finden, konnte hier nicht in Betrachtung gezogen werden: denn wenn man Knochenpartien, wie sie gelegentlich auseinanderfallen oder zusammenbleiben, willkürlich als ein Ganzes behandelt und die Teile dieser größeren Massen durch Zahlen unterscheidet, wer kann sich, dem Sinn und Geiste nach, nur einigermaßen gefördert finden? Welche Ansicht könnte daraus erfolgen? Von dieser freilich unreifen Weise war man nach und nach abgekommen, hatte sie aber nicht aus Vorsatz, aus Maxime verlassen; deshalb hing noch oft zusammen, was wohl nachbarlich verwachsen, aber doch nicht Teil vom Teile war, ja man verknüpfte mit wunderlichem Eigensinn, was die Zeit, die doch auch wohl das Vernünftige zuläßt, geschieden hatte, wieder aufs neue.

Indem ich nun ihrer Natur nach innerlich gleiche, in der Erscheinung aber völlig ungleiche organische Teile parallelisieren sollte, hielt ich an dem Gedanken fest: man solle die Bestimmung jedes Teils für sich und sein Verhältnis zum Ganzen zu erforschen trachten, das eigene Recht jedes einzelnen anerkennen und die Einwirkung aufs übrige Zugleich im Auge behalten, wodurch denn zuletzt Notwendiges, Nützliches und Zweckmäßiges am lebendigen Wesen müßte zum Vorschein kommen.

Man erinnert sich noch der vielen Schwierigkeiten, welchen die Demonstration des menschlichen Keilbeins ausgesetzt war, und wie man weder die Form recht zu fassen, noch die Terminologie dem Gedächtnis einzuprägen so leicht fähig gewesen; sobald man aber einsah, daß es aus zwei gleichen, nur in der Form wenig voneinander abweichenden Knochen zusammengesetzt sei, so vereinfachte sich alles und zugleich belebte sich das Ganze.

Gleicherweise ward man durch die verwickelteste aller Darstellungen, wodurch die Gehörwerkzeuge mit ihrer Umgebung zugleich demonstriert werden sollten, an eine Trennung zu denken veranlaßt, welche sich bei Tieren gar wohl bewirken ließ; wo man die drei Teile, die man sonst als konsolidiert und in einen Körper verschmolzen betrachtete, nunmehr in drei wirklich zu separierende und öfter sogar separierte Teile auseinanderfallen sah.

Die untere Kinnlade betrachtete ich von dem Schädel ganz getrennt und zu den Hilfsorganen gehörig, sie ward auch deshalb den Armen und Beinen gleich gestellt. Nun, ob sie schon bei den Mammalien nur aus zwei Teilen zu bestehen schien, führte doch ihre Gestalt, ihre merkwürdige Beugung, die Verbindung mit dem Oberhaupt, die aus ihr sich entwickelnden Zähne, auf die Vermutung, daß auch hier ein Komplex einzelner Knochen zu finden sei, welche, zusammengewachsen, die rnerkwürdige Bildung erzeugen, die einen so wundervollen Mechanismus ausübt. Diese Vermutung ward bestätigt durch Zergliederung eines jungen Krokodils, wobei sich zeigte, d aß jede Seite aus fünf in- und übereinander geschobenen Knochenteilen, das Ganze also aus zehn Teilen zusammengesetzt sei. Es war belehrend und erfreulich, nach den Spuren dieser Abteilungen auch bei Mammalien zu forschen und, wie man sie mit den Augen des Geistes zu entdecken glaubte, auf manche Kinnladen in- und auswendig aufzuzeichnen und so bestimmt den Sinnen darzubringen, was vorher die Einbildungskraft zu bezeichnen und festzuhalten kaum imstande war.

So bereitete ich mir immer mehr eine freie Übersicht über die Natur und machte mich fähiger, an jedem redlichen Bemühen in diesem Fach freudig und aufrichtig teilzunehmen. Ich erhöhte nach und nach meinen Standpunkt zu Beurteilung wissenschaftlicher und ethischer Behandlung auch in diesen Regionen menschlicher Geschäftigkeit.

So benutzte ich viele Zeit, bis im Jahre 1795 die Gebrüder von Humboldt, die mir schon oft als Dioskuren auf meinem Lebenswege geleuchtet, einen längeren Aufenthalt in Jena beliebten. Auch bei dieser Gelegenheit strömte der Mund über, wovon das Herz voll war, und ich trug die Angelegenheit meines Typus so oft und zudringlich vor, daß man, beinahe ungeduldig, zuletzt verlangte, ich solle das in Schriften verfassen, was mir in Geist, Sinn und Gedächtnis so lebendig vorschwebte. Glücklicherweise fand sich zu selbiger Zeit ein junger, diesen Studien geneigter Freund, Maximilian Jacobi, daselbst, dem ich jenen Aufsatz, ziemlich wie er noch vorliegt, aus dem Stegreif diktierte und jene Methode mit wenig Abweichung als Grundlage meiner Studien beibehielt, wenn ich sie gleich nach und nach auf gar mancherlei Weise hätte modifizieren können. Die drei ersten Kapitel, die gegenwärtig als Entwurf daliegen, schrieb ich ausführlicher. Auch diese Bearbeitung verdiente vielleicht in der Folge mitgeteilt zu werden -. denn sollte das meiste gegenwärtig für Kundige überflüssig sein, so bedenke man, daß es immer frische Anfänger gibt, für welche ältere Anfänge immer noch neu genug sind.

VI.

In einem so weitläufigen und unübersehlichen Felde den unmittelbaren Anblick zu vervielfältigen, bequemer, ja zudringlicher zu machen, stellte man verschiedene Teile mehrerer Tiere nebeneinander, aber jedesmal nach anderer Ordnung. Die Halsknochen zum Beispiel ordnete man von den längsten bis zu den kürzesten, wodurch zugleich das Gesetz ihrer Abweichung voneinander sich deutlicher offenbarte. von der Giraffe bis zum Walfisch war ein bedeutender Weg, man verirrte sich aber nicht in vielem, sondern man suchte die wenigen Flügelmänner, die man zu diesem Zwecke bedeutend fand. Wo die natürlichen Körper fehlten, füllte man die Lücke durch Zeichnungen. Merck hatte von der Giraffe, die sich in Haag befand und befindet, eine lobenswürdige Nachbildung geliefert.

Ingleichen wurden Arm und Hände von dem Punkt an, wo sie nur einer Säule, einer Stütze zu vergleichen sind, nur zu der notwendigsten Bewegung geschickt, bis zur Pronation und Supination, jenem den höher gestellten Tieren gegönnten, nicht genug zu bewundernden organischen Mechanismus, hingestellt.

So geschah auch mit den Beinen und Füßen von dem Punkte an, da sie als unbewegliche Tragsäulen anzusehen sind, bis dahin, wo sie in die leichtesten Schwungfedern verwandelt erscheinen, ja sogar eine Vergleichung mit den Armen in Gestalt und Funktion zulassen. Ferner sollte die Verlängerung des Armes und Beines bis zur engsten Verkürzung derselben, vom Affen bis zur Phoca, das Auge und den Geist zugleich befriedigen. Manches hievon ist geleistet, anderes vorbereitet, anderes zerstört und verwirrt worden. Vielleicht sehen wir unter gegenwärtiger Konstellation diesen löblichen Wunsch erfüllt und bestätigt, da solche Zusammenstellungen dadurch leicht möglich werden, daß jedes Museum unvollständige Skelette besitzt, die zu diesem Gebrauch glücklich und vorteilhaft anzuwenden sind.

Gleicherweise gab es zu bedeutenden Betrachtungen Gelegenheit, das os ethmoideum zu vergleichen, von da an, wo es in seiner größten Breite und Freiheit wirkt, wie beim Dasypus, bis dahin, wo es durch die näher aneinander stehenden und in beträchtlicher Größe ausgebildeten Augenhöhlen, wie beim Affen, zusammengedrängt und der Raum der Nasenwurzel beinahe vernichtet wird.

Da man nun hiezu die gemachten und zu machenden Beobachtungen in einiger Ordnung aufzuzeichnen gedachte, damit solche Kollektaneen näher bei der Hand und nach Bedürfnis leichter zu finden und anzuordnen sein möchten hat man eine Tabelle nach obgedachtem Schema entworfen und sie mit sich auf Reisen geführt und dadurch manches mit späteren Beobachtungen Übereinstimmen des oder durch dieselben zu Rektifizierendes gewonnen, wodurch eine allgemeinere Übersicht erleichtert und eine künftige Generaltabelle vorbereitet wurde.

Wollte man sodann ein Tier in sich selbst vergleichen, so durfte man nur die Kolumne perpendikular herunter lesen; sollte die Vergleichung mit andern Tieren geschehen, so las man in horizontaler Richtung, und die Gestalten wechselten ohne Beschwerde vor unserer Einbildungskraft. Wie man dabei verfahren, mag nachstehende Probe ausweisen, wie solche an Ort und Stelle aufgenommen worden, ohne weitere Revision, deswegen für den Inhalt nicht zu stehen ist.

Bei dieser Gelegenheit muß ich dankbar erkennen wie mit in Dresden, durch die Herren Vorsteher des Naturalienkabinetts, große Gefälligkeit erzeigt, und meine Tabelle zu füllen die bequemste Gelegenheit gegeben worden. Früher wurden mir die Merckischen Fossilien zu Nutze, gegenwärtig in dem reichen Großherzöglich Darmstädtischen Museum aufbewahrt; Herrn von Sömmerrings schöne Sammlung hatte mir manchen Aufschluß gegeben, und durch Hilfe meiner Tabelle konnt ich überall einzelne Merkwürdigkeiten teils zur Ausfüllung, teils zu Revision benutzen. Die höchst schätzenswerte Sammlung des Herrn von Froriep kam leider erst zu einer Zeit nach Weimar, da ich diesen Studien schon entfremdet war, befindet sich noch daselbst, jetzt da ich von solchen früheren Lieblingsbeschäftigungen für immer Abschied nehmen muß.

VII.

[Siehe beigefügte Tabelle]

VIII.

Wir wenden uns nun zu einer Angelegenheit die, wenn darin etwas zu entscheiden wäre, großen Einfluß auf alles vorher Gesagte ausüben müßte. Es entsteht nämlich, da so viel von Gestaltung und Umgestaltung gesprochen worden, die Frage.- ob man denn wirklich die Schädelknochen aus Wirbelknochen ableiten und ihre anfängliche Gestalt, ungeachtet so großer und entschiedener Veränderungen, noch anerkennen solle und dürfe? Und da bekenne ich denn gerne, daß ich seit dreißig Jahren von dieser geheimen Verwandtschaft überzeugt bin, auch Betrachtungen darüber immer fortgesetzt habe. jedoch ein dergleichen Aperçu, ein solches Gewahrwerden, Auffassen, Vorstellen, Begriff, Idee, wie man es nennen mag, behält immerfort, man gebärde sich wie man will, eine esoterische Eigenschaft; im ganzen läßt sichs aussprechen, aber nicht beweisen, im einzelnen läßt sichs wohl vorzeigen, doch bringt man es nicht rund und fertig. Auch würden zwei Personen, die sich von dem Gedanken durchdrungen hätten, doch über die Anwendung desselben im einzelnen sich schwerlich vereinigen, ja, um weiter zu gehen, dürfen wir behaupten, daß der einzelne, einsame, stille Beobachter und Naturfreund mit sich selbst nicht immer einig bleibt und einen Tag um den andern klarer oder dunkler sich zu dem problematischen Gegenstande verhält, je nachdem sich die Geisteskraft reiner und vollkommner dabei hervortun kann.

Ich hatte, um hier mich durch ein Gleichnis zu erklären, vor einiger Zeit Interesse genommen an Manuskripten des fünfzehnten Jahrhunderts, durchaus in Abbreviaturen verfaßt. Ob nun gleich eine solche Entzifferung niemals mein Geschäft gewesen, so ging ich doch, aufgeregt, mit Leidenschaft an die Sache und las zu meiner Verwunderung unbekannte Schriftzüge frisch weg, die mir hätten lange rätselhaft bleiben sollen. Aber diese Zufriedenheit dauerte nicht fort. denn als ich nach einiger Zeit das unterbrochene Geschäft wieder aufnahm, bemerkte ich erst, daß ich irrtümlich eine Arbeit auf dem gewöhnlichen Gang der Aufmerksamkeit zu vollenden strebte, die mit Geist und Liebe, mit Licht und Freiheit begonnen war, und daß im stillen nur darauf zu hoffen sei, wie jene glücklichen Eingebungen des Augenblicks sich wieder erneuern möchten.

Finden wir solchen Unterschied bei Betrachtung alter Pergamente, deren Züge doch entschieden fixiert vor uns daliegen, wie sehr muß die Schwierigkeit sich steigern, wenn wir der Natur etwas abzugewinnen gedenken, welche, ewig beweglich, das Leben, das sie verleiht, nicht erkannt wissen will. Bald zieht sie in Abbreviaturen zusammen, was in klarer Entwicklung gar wohl faßlich gewesen wäre, bald macht sie, durch reihenhafte Aufzählung weitläufiger Kurrentschrift, unerträgliche Langeweile; sie offenbart, was sie verbarg, und verbirgt, was sie eben jetzt offenbarte. Und wer darf sich einer so liebevollen Schärfe, einer so bescheidenen Kühnheit rühmen, daß sie ihm gern an jeder Stelle, in jedem Augenblick zu Willen wäre?

Gelangt nun aber ein solches, aller exoterischen Behandlung durchaus widerstrebendes Problem in die bewegte, ohnehin mit sich selbst beschäftigte Welt, geschehe dies auf eine methodisch-bescheidene oder geistreich-kühne Weise, so erfährt das Mitgeteilte gar oft eine kalte, vielleicht widerwärtige Aufnahme, und man sieht ein so zartes geistiges Wesen gar nicht an seinem Platze. Macht aber auch ein neuer, vielleicht erneuter, einfacher, edler Gedanke einigen Eindruck, so wird er doch niemals rein, wie es zu wünschen wäre, fortgeführt und entwickelt. Erfinder und Teilnehmer, Lehrer und Schüler, Schüler untereinander, die Gegner gar nicht gerechnet, widerstreiten, verwirren, entfernen sich in vielspältiger Behandlung immer mehr und mehr, und zwar dies alles deswegen, weil jeder einzelne sich das Ganze wieder kopf- und sinnrecht machen will, und es schmeichelhafter ist, irrend Original zu sein, als, die Wahrheit anerkennend, sich einer höhern Art und Weise unterzuordnen.

Wer nun, ein langes Leben hindurch, diesen Welt- und Wissensgang, so wie in der Geschichte also auch um sich her, bis auf den heutigen Tag beobachtet hat, ein solcher kennt genau jene Hindernisse, weiß wie und warum eine tiefe Wahrheit so schwer zu entwickeln und zu verbreiten ist; daher mag ihm wohl zu verzeihen sein, wenn er sich nicht abermals in einen Wust von Widerwärtigkeiten hinein zu wagen Lust fühlt.

Deswegen ich denn auch nur kürzlich meine vieljährig gehegte Überzeugung wiederhole. daß das Oberhaupt des Säugetiers aus sechs Wirbelknochen abzuleiten sei. Drei gelten für das Hinterhaupt, als den Schatz des Gehirns einschließend, und die zarten Lebensenden, fein verzweigt, in und über das Ganze und zugleich nach außen hin versendend; drei hinwieder bilden das Vorderhaupt, gegen die Außenwelt sich aufschließend, sie aufnehmend, ergreifend, erfassend.

Jene drei ersten sind anerkannt:
das Hinterhauptbein,
das hintere Keilbein und
das vordere Keilbein;

die drei letzteren aber noch anzuerkennen:
das Gaumenbein,
die obere Kinnlade und
der Zwischenknochen.

Erfreut sich einer der vorzüglichen Männer, die sich bisher schon eifrig mit diesem Gegenstande befaßten, der aufgestellten Ansicht auch nur problemsweise und wendet ein paar Figuren daran, um mit wenigen Zahlen und Zeichen jeden auszumittelnden wechselseitigen Bezug und geheimes Verhältnis übersehbar zu machen, so erhielte die ohnehin nicht mehr abzuwendende Publizität sogleich eine entschiedene Richtung, und wir wagten vielleicht auch noch einiges auszusprechen über die Art und Weise, solche Naturgeheimnisse zu beschauen und zu behandeln, um sie zuletzt, vielleicht allgemein faßlich, auf praktische Resultate hinzuleiten, wodurch denn Wert und Würde eines Gedankens doch endlich erst im allgemeinen geschätzt und anerkannt werden kann; wie denn noch manche Mitteilung dieser Art für folgende Hefte bewahrt bleiben möge.