Goethes Farbenlehre – Erste Abteilung

PHYSIOLOGISCHE FARBEN

Diese Farben, welche wir billig obenan setzen, weil sie dem Subjekt, weil sie dem Auge, teils völlig, teils größtens zugehören, diese Farben, welche das Fundament der ganzen Lehre machen und uns die chromatische Harmonie, worüber so viel gestritten wird, offenbaren, wurden bisher als außerwesentlich, zufällig, als Täuschung und Gebrechen betrachtet. Die Erscheinungen derselben sind von frühern Zeiten her bekannt, aber weil man ihre Flüchtigkeit nicht haschen konnte, so verbannte man sie in das Reich der schädlichen Gespenster und bezeichnete sie in diesem Sinne gar verschiedentlich.

2. Also heißen sie colores adventicii nach Boyle, imaginarii und phantastici nach Rizzetti, nach Buffon couleurs accidentelles, nach Scherffer Scheinfarben; Augentäuschungen und Gesichtsbetrug nach mehreren, nach Hamberger vitia fugitiva, nach Darwin ocular spectra.

3. Wir haben sie physiologische genannt, weil sie dem gesunden Auge angehören, weil wir sie als die notwendigen Bedingungen des Sehens betrachten, auf dessen lebendiges Wechselwirken in sich selbst und nach außen sie hindeuten.

4. Wir fügen ihnen sogleich die pathologischen hinzu, welche, wie jeder abnorme Zustand auf den gesetzlichen, so auch hier auf die physiologischen Farben eine vollkommenere Einsicht verbreiten.

I. Licht und Finsternis zum Auge

5. Die Retina befindet sich, je nachdem Licht oder Finsternis auf sie wirken, in zwei verschiedenen Zuständen, die einander völlig entgegenstehen.

6. Wenn wir die Augen innerhalb eines ganz finstern Raums offen halten, so wird uns ein gewisser Mangel empfindbar. Das Organ ist sich selbst überlassen, es zieht sich in sich selbst zurück, ihm fehlt jene reizende befriedigende Berührung, durch die es mit der äußern Welt verbunden und zum Ganzen wird.

7. Wenden wir das Auge gegen eine stark beleuchtete weiße Fläche, so wird es geblendet und für eine Zeit lang unfähig, mäßig beleuchtete Gegenstände zu unterscheiden.

8. Jeder dieser äußersten Zustände nimmt auf die angegebene Weise die ganze Netzhaut ein, und insofern werden wir nur einen derselben auf einmal gewahr. Dort (6) fanden wir das Organ in der höchsten Abspannung und Empfänglichkeit, hier (7) in der äußersten Überspannung und Unempfindlichkeit.

9. Gehen wir schnell aus einem dieser Zustände in den andern über, wenn auch nicht von einer äußersten Grenze zur andern, sondern etwa nur aus dem Hellen ins Dämmernde, so ist der Unterschied bedeutend und wir können bemerken, daß die Zustände eine Zeitlang dauern.

10. Wer aus der Tageshelle in einen dämmrigen Ort übergeht, unterscheidet nichts in der ersten Zeit, nach und nach stellen sich die Augen zur Empfänglichkeit wieder her, starke früher als schwache, jene schon in einer Minute, wenn diese sieben bis acht Minuten brauchen.

11. Bei wissenschaftlichen Beobachtungen kann die Unempfänglichkeit des Auges für schwache Lichteindrücke, wenn man aus dem Hellen ins Dunkle geht, zu sonderbaren Irrtümern Gelegenheit geben. So glaubte ein Beobachter, dessen Auge sich langsam herstellte, eine ganze Zeit, das faule Holz leuchte nicht um Mittag, selbst in der dunkeln Kammer. Er sah nämlich das schwache Leuchten nicht, weil er aus dem hellen Sonnenschein in die dunkle Kammer zu gehen pflegte und erst später einmal so lange darin verweilte, bis sich das Auge wieder hergestellt hatte.

Ebenso mag es dem Doktor Wall mit dem elektrischen Scheine des Bernsteins gegangen sein, den er bei Tage, selbst im dunkeln Zimmer, kaum gewahr werden konnte.

Das Nichtsehen der Sterne bei Tage, das Bessersehen der Gemälde durch eine doppelte Röhre ist auch hieher zu rechnen.

12. Wer einen völlig dunkeln Ort mit einem, den die Sonne bescheint, verwechselt, wird geblendet. Wer aus der Dämmrung ins nicht blendende Helle kommt, bemerkt alle Gegenstände frischer und besser; daher ein ausgeruhtes Auge durchaus für mäßige Erscheinungen empfänglicher ist.

Bei Gefangenen, welche lange im Finstern gesessen, ist die Empfänglichkeit der Retina so groß, daß sie im Finstern (wahrscheinlich in einem wenig erhellten Dunkel) schon Gegenstände unterscheiden.

13. Die Netzhaut befindet sich bei dem, was wir sehen heißen, zu gleicher Zeit in verschiedenen, ja in entgegengesetzten Zuständen. Das höchste nicht blendende Helle wirkt neben dem völlig Dunkeln. Zugleich werden wir alle Mittelstufen des Helldunkeln und alle Farbenbestimmungen gewahr.

14. Wir wollen gedachte Elemente der sichtbaren Welt nach und nach betrachten und bemerken, wie sich das Organ gegen dieselben verhalte, und zu diesem Zweck die einfachsten Bilder vornehmen.

II. Schwarze und weisse Bilder zum Auge

15. Wie sich die Netzhaut gegen Hell und Dunkel überhaupt verhält, so verhält sie sich auch gegen dunkle und helle einzelne Gegenstände. Wenn Licht und Finsternis ihr im ganzen verschiedene, Stimmungen geben, so werden schwarze und weiße Bilder, die zu gleicher Zeit ins Auge fallen, diejenigen Zustände nebeneinander bewirken, welche durch Licht und Finsternis in einer Folge hervorgebracht wurden.

16. Ein dunkler Gegenstand erscheint kleiner, als ein heller von derselben Größe. Man sehe zugleich eine weiße Rundung auf schwarzem, eine schwarze auf weißem Grunde, welche nach einerlei Zirkelschlag ausgeschnitten sind, in einiger Entfernung an, und wir werden die letztere etwa um ein Fünftel kleiner, als die erste halten. Man mache das schwarze Bild um soviel größer, und sie werden gleich erscheinen.

17. So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in der Konjunktion (der finstere) um den fünften Teil kleiner erscheine als in der Opposition (der volle helle). Die erste Mondsichel scheint einer größern Scheibe anzugehören als der an sie grenzenden dunkeln, die man zur Zeit des Neulichtes manchmal unterscheiden kann. Schwarze Kleider machen die Personen viel schmäler aussehen als helle. Hinter einem Rand gesehene Lichter machen in den Rand einen scheinbaren Einschnitt. Ein Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat für uns eine Scharte. Die auf- und untergehende Sonne scheint einen Einschnitt in den Horizont zu machen.

18. Das Schwarze, als Repräsentant der Finsternis, läßt das Organ im Zustande der Ruhe, das Weiße, als Stellvertreter des Lichts, versetzt es in Tätigkeit. Man schlösse vielleicht aus gedachtem Phänomen (16), daß die ruhige Netzhaut, wenn sie sich selbst überlassen ist, in sich selbst zusammengezogen sei und einen kleinern Raum einnehme als in dem Zustande der Tätigkeit, in den sie durch den Reiz des Lichtes versetzt wird.

Kepler sagt daher sehr schön: certum est vel in retina causa picturae, vel in spiritibus causa impressionis exsistere dilatationem lucidorum. Paralip. in Vitellionem p. 220. Pater Scherffer hat eine ähnliche Mutmaßung.

19. Wie dem auch sei, beide Zustände, zu welchen das Organ durch ein solches Bild bestimmt wird, bestehen auf demselben örtlich, und dauern eine Zeitlang fort, wenn auch schon der äußre Anlaß entfernt ist. Im gemeinen Leben bemerken wir es kaum: denn selten kommen Bilder vor, die sehr stark voneinander abstechen. Wir vermeiden diejenigen anzusehn, die uns blenden. Wir blicken von einem Gegenstand auf den andern, die Sukzession der Bilder scheint uns rein, wir werden nicht gewahr, daß sich von dem vorhergehenden etwas ins nachfolgende hinüberschleicht.

20. Wer auf ein Fensterkreuz, das einen dämmernden Himmel zum Hintergrunde hat, morgens beim Erwachen, Wenn das Auge besonders empfänglich ist, scharf hinblicke und sodann die Augen schließt oder gegen einen ganz dunkeln Ort hinsieht, wird ein schwarzes Kreuz auf hellem Grunde noch eine Weile vor sich sehen.

21. Jedes Bild nimmt seinen bestimmten Platz auf der Netzhaut ein, und zwar einen größern oder kleinern, nach dem Maße, in welchem es nahe oder fern gesehen wird. Schließen wir das Auge sogleich, wenn wir in die Sonne gesehen haben, so werden wir uns wundern, wie klein das zurückgebliebene Bild erscheint.

22. Kehren wir dagegen das geöffnete Auge nach einer Wand und betrachten das uns vorschwebende Gespenst in bezug auf andre Gegenstände, so werden wir es immer größer erblicken, je weiter von uns es durch irgendeine Fläche aufgefangen wird. Dieses Phänomen erklärt sich wohl aus dem perspektivischen Gesetz, daß uns der kleine nähere Gegenstand den größern entfernten zudeckt.

23. Nach Beschaffenheit der Augen ist die Dauer dieses Eindrucks verschieden. Sie verhält sich wie die Herstellung der Netzhaut bei dem Übergang aus dem Hellen ins Dunkle (10) und kann also nach Minuten und Sekunden abgemessen werden, und zwar viel genauer, als es bisher durch eine geschwungene brennende Lunte, die dem hinblickenden Auge als ein Zirkel erscheint, geschehen konnte.

24. Besonders auch kommt die Energie in Betracht, womit eine Lichtwirkung das Auge trifft. Am längsten bleibt das Bild der Sonne andre mehr oder weniger leuchtende Körper lassen ihre Spur länger oder kürzer zurück.

25. Diese Bilder verschwinden nach und nach, und zwar indem sie sowohl an Deutlichkeit als an Größe verlieren.

26. Sie nehmen von der Peripherie herein ab, und man glaubt bemerkt zu haben, daß bei viereckten Bildern sich nach und nach die Ecken abstumpfen, und zuletzt ein immer kleineres rundes Bild vorschwebt.

27. Ein solches Bild, dessen Eindruck nicht mehr bemerklich ist, läßt sich auf der Retina gleichsam wieder beleben, wenn wir die Augen öffnen und schließen und mit Erregung und Schonung abwechseln.

28. Daß Bilder sich bei Augenkrankheiten vierzehn bis siebzehn Minuten, ja länger auf der Retina erhielten, deutet auf äußerste Schwäche des Organs, auf dessen Unfähigkeit, sich wieder herzustellen, so wie das Vorschweben leidenschaftlich geliebter oder verhaßter Gegenstände aus dem Sinnlichen ins Geistige deutet.

29. Blickt man, indessen der Eindruck obgedachten Fensterbildes noch dauert, nach einer hellgrauen Fläche, so erscheint das Kreuz hell und der Scheibenraum dunkel. In jenem Falle (20) blieb der Zustand sich selbst gleich, so daß auch der Eindruck identisch verharren konnte; hier aber wird eine Umkehrung bewirkt, die unsere Aufmerksamkeit aufregt und von der uns die Beobachter mehrere Fälle überliefert haben.

30. Die Gelehrten, welche auf den Cordilleras ihre Beobachtungen anstellten, sahen um den Schatten ihrer Köpfe, der auf Wolken fiel, einen hellen Schein. Dieser Fall gehört wohl hieher: denn indem sie das dunkle Bild des Schattens fixierten und sich zugleich von der Stelle bewegten, so schien ihnen das geforderte helle Bild um das dunkle zu schweben. Man betrachte ein schwarzes Rund auf einer hellgrauen Fläche, so wird man bald, wenn man die Richtung des Blicks im geringsten verändert, einen hellen Schein um das dunkle Rund schweben sehen.

Auch mir ist ein Ähnliches begegnet. Indem ich nämlich auf dem Felde sitzend mit einem Manne sprach, der, in einiger Entfernung vor mir stehend, einen grauen Himmel zum, Hintergrund hatte, so erschien mir, nachdem ich ihn lange scharf und unverwandt angesehen, als ich den Blick ein wenig gewendet, sein Kopf von einem blendenden Schein umgeben.

Wahrscheinlich gehört hieher auch das Phänomen, daß Personen, die bei Aufgang der Sonne an feuchten Wiesen hergehen, einen Schein um ihr Haupt erblicken, der zugleich farbig sein mag, weil sich von den Phänomenen der Refraktion etwas einmischt.

So hat man auch um die Schatten der Luftballone, welche auf Wolken fielen, helle und einigermaßen gefärbte Kreise bemerken wollen.

Pater Beccaria stellte einige Versuche an über die Wetterelektrizität, wobei er den papiernen Drachen in die Höhe steigen ließ. Es zeigte sich um diese Maschine ein kleines glänzendes Wölkchen von abwechselnder Größe, ja auch um einen Teil der Schnur. Es verschwand zuweilen, und wenn der Drache sich schneller bewegte, schien es auf dem vorigen Platze einige Augenblicke hin und wieder zu schweben. Diese Erscheinung, welche die damaligen Beobachter nicht erklären konnten, war das im Auge zurückgebliebene, gegen den hellen Himmel in ein helles verwandelte Bild des dunkeln Drachen.

Bei optischen, besonders chromatischen Versuchen, wo man oft mit blendenden Lichtern, sie seien farblos oder farbig, zu tun hat, muß man sich sehr vorsehen, daß nicht das zurückgebliebene Spektrum einer vorhergehenden Beobachtung sich mit in eine folgende Beobachtung mische und dieselbe verwirrt und unrein mache.

31. Diese Erscheinungen hat man sich folgendermaßen zu erklären gesucht. Der Ort der Retina, auf welchen das Bild des dunklen Kreuzes fiel, ist als ausgeruht und empfänglich anzusehen. Auf ihn wirkt die mäßig erhellte Fläche lebhafter als auf die übrigen Teile der Netzhaut, welche durch die Fensterscheiben das Licht empfingen, und nachdem sie durch einen so viel stärkern Reiz in Tätigkeit gesetzt worden, die graue Fläche nur als dunkel gewahr werden.

32. Diese Erklärungsart scheint für den gegenwärtigen Fall ziemlich hinreichend; in Betrachtung künftiger Erscheinungen aber sind wir genötigt, das Phänomen aus höhern Quellen abzuleiten.

33. Das Auge eines Wachenden äußert seine Lebendigkeit besonders darin, daß es durchaus in seinen Zuständen abzuwechseln verlangt, die sich am einfachsten vom Dunkeln zum Hellen und umgekehrt bewegen. Das Auge kann und mag nicht einen Moment in einem besondern, in einem durch das Objekt spezifizierten Zustande identisch verharren. Es ist vielmehr zu einer Art von Opposition genötigt, die, indem sie das Extrem dem Extreme, das Mittlere dem Mittleren entgegensetzt, sogleich das Entgegengesetzte verbindet und in der Sukzession sowohl als in der Gleichzeitigkeit und Gleichörtlichkeit nach einem Ganzen strebt.

34. Vielleicht entsteht das außerordentliche Behagen, das wir bei dem wohlbehandelten Helldunkel farbloser Gemälde und ähnlicher Kunstwerke empfinden, vorzüglich aus dem gleichzeitigen Gewahrwerden eines Ganzen, das von dem Organ sonst nur in einer Folge mehr gesucht, als hervorgebracht wird, und wie es auch gelingen möge, niemals festgehalten werden kann.

III. Graue Flächen und Bilder

35. Ein großer Teil chromatischer Versuche verlangt ein mäßiges Licht. Dieses können wir sogleich durch mehr oder minder graue Flächen bewirken, und wir haben uns daher mit dem Grauen zeitig bekannt zu machen, wobei wir kaum zu bemerken brauchen, daß in manchen Fällen eine im Schatten oder in der Dämmerung stehende weiße Fläche für eine graue gelten kann.

36. Da eine graue Fläche zwischen Hell und Dunkel innen steht3, so läßt sich das, was wir oben (29) als Phänomen vorgetragen, zum bequemen Versuch erheben.

37. Man halte ein schwarzes Bild vor eine graue Fläche und sehe unverwandt, indem es weggenommen wird, auf denselben Fleck; der Raum, den es einnahm, erscheint um vieles heller. Man halte auf eben diese Art ein weißes Bild hin, und der Raum wird nachher dunkler als die übrige Fläche erscheinen. Man verwende das Auge auf der Tafel hin und wieder, so werden in beiden Fällen die Bilder sich gleichfalls hin und her bewegen.

38. Ein graues Bild auf schwarzem Grunde erscheint viel heller als dasselbe Bild auf weißem. Stellt man beide Fälle nebeneinander, so kann man sich kaum überzeugen, daß beide Bilder aus einem Topf gefärbt seien. Wir glauben hier abermals die große Regsamkeit der Netzhaut zu bemerken und den stillen Widerspruch, den jedes Lebendige zu äußern gedrungen ist, wenn ihm irgendein bestimmter Zustand dargeboten wird. So setzt das Einatmen schon das Ausatmen voraus und umgekehrt; so jede Systole ihre Diastole. Es ist die ewige Formel des Lebens, die sich auch hier äußert. Wie dem Auge das Dunkle geboten wird, so fordert es das Helle; es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt und zeigt eben dadurch seine Lebendigkeit, sein Recht, das Objekt zu fassen, indem es etwas, das dem Objekt entgegengesetzt ist, aus sich selbst hervorbringt.

IV. Blendendes farbloses Bild

39. Wenn man ein blendendes völlig farbloses Bild ansieht, so macht solches einen starken dauernden Eindruck, und das Abklingen desselben ist von einer Farbenerscheinung begleitet [Tafel 1, Figur 1.

40. In einem Zimmer, das möglichst verdunkelt worden, habe man im Laden eine runde Öffnung, etwa drei Zoll Durchmesser, die man nach Belieben auf- und zudecken kann; durch selbige lasse man die Sonne auf ein weißes Papier scheinen und sehe in einiger Entfernung starr das erleuchtete Rund an; man schließe darauf die Öffnung und blicke nach dem dunkelsten Orte des Zimmers, so wird man eine runde Erscheinung vor sich schweben sehen. Die Mitte des Kreises wird man hell, farblos, einigermaßen gelb sehen, der Rand aber wird sogleich purpurfarben erscheinen.

Es dauert eine Zeitlang, bis diese Purpurfarbe von außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den hellen Mittelpunkt völlig vertreibt. Kaum erscheint aber das ganze Rund purpurfarben, so fängt der Rand an blau zu werden, das Blaue verdrängt nach und nach hereinwärts den Purpur. Ist die Erscheinung vollkommen blau, so wird der Rand dunkel und unfärbig. Es währet lange, bis der unfärbige Rand völlig das Blaue vertreibt und der ganze Raum unfärbig wird. Das Bild nimmt sodann nach und nach ab, und zwar dergestalt, daß es zugleich schwächer und kleiner wird. Hier sehen wir abermals, wie sich die Netzhaut durch eine Sukzession von Schwingungen gegen den gewaltsamen äußern Eindruck nach und nach wieder herstellt (25, 26).

41. Die Verhältnisse des Zeitmaßes dieser Erscheinung habe ich an meinem Auge, bei mehrern Versuchen übereinstimmend, folgendermaßen gefunden.

Auf das blendende Bild hatte ich fünf Sekunden gesehen, darauf den Schieber geschlossen; da erblickt‘ ich das farbige Scheinbild schwebend, und nach dreizehn Sekunden erschien es ganz purpurfarben. Nun vergingen wieder neunundzwanzig Sekunden, bis das Ganze blau erschien, und achtundvierzig, bis es mir farblos vorschwebte. Durch Schließen und Öffnen des Auges belebte ich das Bild immer wieder (27), so daß es sich erst nach Verlauf von sieben Minuten ganz verlor.

Künftige Beobachter werden diese Zeiten. kürzer oder länger finden, je nachdem sie stärkere oder schwächere Augen haben (23). Sehr merkwürdig aber wäre es, wenn man demungeachtet durchaus ein gewisses Zahlenverhältnis dabei entdecken könnte.

42. Aber dieses sonderbare Phänomen erregt nicht so bald unsre Aufmerksamkeit, als wir schon eine neue Modifikation desselben gewahr werden.

Haben wir, wie oben gedacht, den Lichteindruck im Auge aufgenommen und sehen in einem mäßig erleuchteten Zimmer auf einen hellgrauen Gegenstand, so schwebt abermals ein Phänomen vor uns, aber ein dunkles, das sich nach und nach von außen mit einem grünen Rande einfaßt, welcher ebenso wie vorher der purpurne Rand sich über das ganze Rund hineinwärts verbreitet. Ist dieses geschehen, so sieht man nunmehr ein schmutziges Gelb, das, wie in dem vorigen Versuche das Blau, die Scheibe ausfüllt und zuletzt von einer Unfarbe verschlungen wird.

43. Diese beiden Versuche lassen sich kombinieren, wenn man in einem mäßig hellen Zimmer eine schwarze und weiße Tafel nebeneinander hinsetzt und, solange das Auge den Lichteindruck behält, bald auf die weiße, bald auf die schwarze Tafel scharf hinblicke. Man wird alsdann im Anfange bald ein purpurnes, bald ein grünes Phänomen und so weiter das übrige gewahr werden. Ja, wenn man sich geübt hat, so lassen sich, indem man das schwebende Phänomen dahin bringt, wo die zwei Tafeln aneinander stoßen, die beiden entgegengesetzten Farben zugleich erblicken; welches um so bequemer geschehen kann, als die Tafeln entfernter stehen, indem das Spektrum alsdann größer erscheint.

44. Ich befand mich gegen Abend in einer Eisenschmiede, als eben die glühende Masse unter den Hammer gebracht wurde. Ich hatte scharf darauf gesehen, wendete mich um und blickte zufällig in einen offenstehenden Kohlenschoppen. Ein ungeheures purpurfarbnes Bild schwebte nun vor meinen Augen, und als ich den Blick von der dunkeln Öffnung weg nach dem hellen Bretterverschlag wendete, so erschien mir das Phänomen halb grün, halb purpurfarben, je nachdem es einen dunklern oder hellem Grund hinter sich hatte. Auf das Abklingen dieser Erscheinung merkte ich damals nicht.

45. Wie das Abklingen eines umschriebenen Glanzbildes verhält sich auch das Abklingen einer totalen Blendung der Retina. Die Purpurfarbe, welche die vom Schnee Geblendeten erblicken, gehört hieher, sowie die ungemein schöne grüne Farbe dunkler Gegenstände, nachdem man auf ein weißes Papier in der Sonne lange hingesehen. Wie es sich näher damit verhalte, werden diejenigen künftig untersuchen, deren jugendliche Augen, um der Wissenschaft willen, noch etwas auszustehen fähig sind.

46. Hieher gehören gleichfalls die schwarzen Buchstaben, die im Abendlichte rot erscheinen. Vielleicht gehört auch die Geschichte hieher, daß sich Blutstropfen auf dem Tische zeigten, an den sich Heinrich der Vierte von Frankreich mit dem Herzog von Guise, um Würfel zu spielen, gesetzt hatte.

V. Farbige Bilder

47. Wir wurden die physiologischen Farben zuerst beim Abklingen farbloser blendender Bilder, sowie auch bei abklingenden allgemeinen farblosen Blendungen gewahr. Nun finden wir analoge Erscheinungen, wenn dem Auge eine schon spezifizierte Farbe geboten wird, wobei uns alles, was wir bisher erfahren haben, immer gegenwärtig bleiben muß.

48. Wie von den farblosen Bildern, so bleibt auch von den farbigen der Eindruck im Auge, nur daß uns die zur Opposition aufgeforderte und durch den Gegensatz eine Totalität hervorbringende Lebendigkeit der Netzhaut anschaulicher wird.

49. Man halte ein kleines Stück lebhaft farbigen Papiers oder seidnen Zeuges vor eine mäßig erleuchtete weiße Tafel, schaue unverwandt auf die kleine farbige Fläche und hebe sie“ ohne das Auge zu verrücken, nach einiger Zeit hinweg, so wird das Spektrum einer andern Farbe auf der weißen Tafel zu sehen sein. Man kann auch das farbige Papier an seinem Orte lassen und mit dem Auge auf einen andern Fleck der weißen Tafel hinblicken, so wird jene farbige Erscheinung sich auch dort sehen lassen: denn sie entspringt aus einem Bilde, das nunmehr dem Auge angehört.

50. Um in der Kürze zu bemerken, welche Farben denn eigentlich durch diesen Gegensatz hervorgerufen werden, bediene man sich des illuminierten Farbenkreises unserer Tafeln [Tafel I, Figur I], der überhaupt naturgemäß eingerichtet ist und auch hier seine guten Dienste leistet, indem die in demselben diametral einander entgegengesetzten Farben diejenigen sind, welche sich im Auge wechselsweise fordern. So fordert Gelb das Violette, Orange das Blaue, Purpur das Grüne, und umgekehrt. So fordern sich alle Abstufungen wechselsweise, die einfachere Farbe fordert die zusammengesetztere, und umgekehrt.

51. Öfter, als wir denken, kommen uns die hieher gehörigen Fälle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerksame sieht diese Erscheinungen überall, da sie hingegen von dem ununterrichteten Teil der Menschen, wie von unsern Vorfahren als flüchtige Fehler angesehen werden, ja manchmal gar, als wären es Vorbedeutungen von Augenkrankheiten, sorgliches Nachdenken erregen. Einige bedeutende Fälle mögen hier Platz nehmen.

52. Als ich gegen Abend in ein Wirtshaus eintrat und ein wohlgewachsenes Mädchen mit blendendweißem Gesicht, schwarzen Haaren und einem scharlachroten Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich sie, die in einiger Entfernung vor mir stand, in der Halbdämmerung scharf an. Indem sie sich nun darauf hinwegbewegte, sah ich auf der mir entgegenstehenden weißen Wand ein schwarzes Gesicht, mit einem hellen Schein umgeben, und die übrige Bekleidung der völlig deutlichen Figur erschien von einem schönen Meergrün.

53. Unter dem optischen Apparat befinden sich Brustbilder von Farben und Schattierungen, denen entgegengesetzt, welche die Natur zeigt, und man will, wenn man sie eine Zeitlang angeschaut, die Scheingestalt alsdann ziemlich natürlich gesehen haben. Die Sache ist an sich selbst richtig und der Erfahrung gemäß: denn in obigem Falle hätte mir eine Mohrin mit weißer Binde ein weißes Gesicht schwarz umgeben hervorgebracht; nur will es bei jenen gewöhnlich klein gemalten Bildern nicht jedermann glücken, die Teile der Scheinfigur gewahr zu werden.

54. Ein Phänomen, das schon früher bei den Naturforschern Aufmerksamkeit erregt, läßt sich, wie ich überzeugt bin, auch aus diesen Erscheinungen ableiten.

Man erzählt, daß gewisse Blumen im Sommer bei Abendzeit gleichsam blitzen, phosphoreszieren oder ein augenblickliches Licht ausströmen. Einige Beobachter geben diese Erfahrungen genauer an.

Dieses Phänomen selbst zu sehen hatte ich mich oft bemüht, ja sogar, um es hervorzubringen, künstliche Versuche angestellt.

Am 19. Juni 1799, als ich zu später Abendzeit bei der in eine klare Nacht übergehenden Dämmerung mit einem Freunde im Garten auf- und abging, bemerkten wir sehr deutlich an den Blumen des orientalischen Mohns, die vor allen andern eine sehr mächtig rote Farbe haben, etwas Flammenähnliches, das sich in ihrer Nähe zeigte. Wir stellten uns vor die Stauden hin, sahen aufmerksam darauf, konnten aber nichts weiter bemerken, bis uns endlich, bei abermaligem Hin- und Widergehen, gelang, indem wir seitwärts darauf blickten, die Erscheinung so oft zu wiederholen, als uns beliebte. Es zeigte sich, daß es ein physiologisches Farbenphänomen, und der scheinbare Blitz eigentlich das Scheinbild der Blume in der geforderten blaugrünen Farbe sei.

Wenn man eine Blume gerad ansieht, so kommt die Erscheinung nicht hervor; doch müßte es auch geschehen, sobald man mit dem Blick wankte. Schielt man aber mit dem Augenwinkel hin, so entsteht eine. momentane Doppelerscheinung, bei welcher das Scheinbild gleich neben und an dem wahren Bilde erblickt wird.

Die Dämmerung ist Ursache, daß das Auge völlig ausgeruht und empfänglich ist, und die Farbe des Mohns ist mächtig genug, bei einer Sommerdämmerung der längsten Tage, noch vollkommen zu wirken und ein gefordertes Bild hervorzurufen.

Ich bin überzeugt, daß man diese Erscheinung zum Versuche erheben und den gleichen Effekt durch Papierblumen hervorbringen könnte.

Will man indessen sich auf die Erfahrung in der Natur vorbereiten, so gewöhne man sich, indem man durch den Garten geht, die farbigen Blumen scharf anzusehen und sogleich auf den Sandweg hinzublicken; man wird diesen alsdann mit Flecken der entgegengesetzten Farbe bestreut sehen. Diese Erfahrung glückt bei bedecktem Himmel, aber auch selbst beim hellsten Sonnenschein, der, indem er die Farbe der Blume erhöht, sie fähig macht die geforderte Farbe mächtig genug hervorzubringen, daß sie selbst bei einem blendenden Lichte noch bemerkt werden kann. So bringen die Päonien schön grüne, die Kalendeln lebhaft blaue Spektra hervor.

55. So wie bei den Versuchen mit farbigen Bildern auf einzelnen Teilen der Retina ein Farbenwechsel gesetzmäßig entsteht, so geschieht dasselbe, wenn die ganze Netzhaut von einer Farbe affiziert wird. Hievon können wir uns überzeugen, wenn wir farbige Glasscheiben vors Auge nehmen. Man blicke eine Zeitlang durch eine blaue Scheibe, so wird die Welt nachher dem befreiten Auge wie von der Sonne erleuchtet erscheinen, wenn auch gleich der Tag grau und die Gegend herbstlich farblos wäre. Ebenso sehen wir, indem wir eine grüne Brille weglegen, die Gegenstände mit einem rötlichen Schein überglänzt. Ich sollte daher glauben, daß es nicht wohlgetan sei, zu Schonung der Augen sich grüner Gläser> oder grünen Papiers zu bedienen, weil jede Farbspezifikation dem Auge Gewalt antut und das Organ zur Opposition nötigt.

56. Haben wir bisher die entgegengesetzten Farben sich einander sukzessiv auf der Retina fordern sehen, so bleibt uns noch übrig zu erfahren, daß diese gesetzliche Forderung auch simultan bestehen könne. Malt sich auf einem Teile der Netzhaut ein farbiges Bild, so findet sich der übrige Teil sogleich in einer Disposition, die bemerkten korrespondierenden Farben hervorzubringen. Setzt man obige Versuche fort und blickt zum Beispiel vor einer weißen Fläche auf ein gelbes Stück Papier, so ist der übrige Teil des Auges schon disponiert, auf gedachter farbloser Fläche das Violette hervorzubringen. Allein das wenige Gelbe ist nicht mächtig genug, jene Wirkung deutlich zu leisten. Bringt man aber auf eine gelbe Wand weiße Papiere, so wird man sie mit einem violetten Ton überzogen sehen.

57. Ob man gleich mit allen Farben diese Versuche anstellen kann, so sind doch besonders dazu Grün und Purpur zu empfehlen, weil diese Farben einander auffallend hervorrufen. Auch im Leben begegnen uns diese Fälle häufig. Blickt ein grünes Papier durch gestreiften oder geblümten Musselin hindurch, so werden die Streifen oder Blumen rötlich erscheinen. Durch grüne Schaltern ein graues Haus gesehen, erscheint gleichfalls rötlich. Die Purpurfarbe an dem bewegten Meer ist auch eine geforderte Farbe. Der beleuchtete Teil der Wellen erscheint grün in seiner eigenen Farbe, und der beschattete in der entgegengesetzten purpurnen. Die verschiedene Richtung der Wellen gegen das Auge bringt eben die Wirkung hervor. Durch eine Öffnung roter oder grüner Vorhänge erscheinen die Gegenstände draußen mit der geforderten Farbe. Übrigens werden sich diese Erscheinungen dem Aufmerksamen überall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen.

58. Haben wir das Simultane dieser Wirkungen bisher in den direkten Fällen kennen gelernt, so können wir solche auch in den umgekehrten bemerken. Nimmt man ein sehr lebhaft orange gefärbtes Stückchen Papier vor die weiße Fläche, so wird man, wenn man es scharf ansieht, das auf der übrigen Fläche geforderte Blau schwerlich gewahr werden. Nimmt man aber das orange Papier weg und erscheint an dessen Platz das blaue Scheinbild, so wird sich in dem Augenblick, da dieses völlig wirksam ist, die übrige Fläche, wie in einer Art von Wetterleuchten, mit einem rötlich gelben Schein überziehen und wird dem Beobachter die produktive Forderung dieser Gesetzlichkeit zum lebhaften Anschauen bringen.

59. Wie die geforderten Farben, da wo sie nicht sind, neben und nach der fordernden leicht erscheinen, so werden sie erhöht, da wo sie sind. In einem Hofe, der mit grauen Kalksteinen gepflastert und mit Gras durchwachsen war, erschien das Gras von einer unendlich schönen Grüne, als Abendwolken einen rötlichen kaum bemerklichen Schein auf das Pflaster warfen. Im umgekehrten Falle sieht derjenige, derbei einer mittleren Helle des Himmels auf Wiesen wandelt und nichts als Grün vor sich sieht, öfters die Baumstämme und Wege mit einem rötlichen Scheine leuchten. Bei Landschaftmalern, besonders denjenigen, die mit Aquarellfarben arbeiten, kommt dieser Ton öfters vor. Wahrscheinlich sehen sie ihn in der Natur, ahmen ihn unbewußt nach und ihre Arbeit wird als unnatürlich getadelt.

60. Diese Phänomene sind von der größten Wichtigkeit, indem sie uns auf die Gesetze des Sehens hindeuten und zu künftiger Betrachtung der Farben eine notwendige Vorbereitung sind. Das Auge verlangt dabei ganz eigentlich Totalität und schließt in sich selbst den Farbenkreis ab. In dem vom Gelben geforderten Violetten liegt das Rote und Blaue; im Orange das Gelbe und Rote, dem das Blaue entspricht; das Grüne vereinigt Blau und Gelb und fordert das Rote, und so in allen Abstufungen der verschiedensten Mischungen. Daß man in diesem Falle genötigt werde, drei Hauptfarben anzunehmen, ist schon früher von den Beobachtern bemerkt worden.

61. Wenn in der Totalität die Elemente, woraus sie zusammenwächst, noch bemerklich sind, nennen wir sie billig Harmonie, und wie die Lehre von der Harmonie der Farben sich aus diesen Phänomenen herleite, wie nur durch diese Eigenschaften die Farbe fähig sei, zu ästhetischem Gebrauch angewendet zu werden, muß sich in der Folge zeigen, wenn wir den ganzen Kreis der Beobachtungen durchlaufen haben und auf den Punkt, wovon wir ausgegangen sind, zurückkehren.

VI. Farbige Schatten

62. Ehe wir jedoch weiter schreiten, haben wir noch, höchst merkwürdige Fälle dieser lebendig geforderten, nebeneinander bestehenden Farben zu beobachten, und zwar indem wir unsre Aufmerksamkeit auf die farbigen Schatten richten. Um zu diesen überzugehen, wenden wir uns vorerst zur Betrachtung der farblosen Schatten.

63. Ein Schatten von der Sonne auf eine weiße Fläche geworfen gibt uns keine Empfindung von Farbe, solange die Sonne in ihrer völligen Kraft wirkt. Er scheint schwarz oder, wenn ein Gegenlicht hinzu dringen kann, schwächer, halberhellt, grau.

64. Zu den farbigen Schatten gehören zwei Bedingungen, erstlich, daß das wirksame Licht auf irgend eine Art die weiße Fläche färbe, zweitens, daß ein Gegenlicht den geworfenen Schatten auf einen gewissen Grad erleuchte.

65. Man setze bei der Dämmerung auf ein weißes Papier eine niedrig brennende Kerze; zwischen sie und das abnehmende Tageslicht stelle man einen Bleistift aufrecht, so dass der Schatten, welchen die Kerze wirft, von dem schwachen Tageslicht erhellt, aber nicht aufgehoben werden kann, und der Schatten wird von dem schönsten Blau erscheinen.

66. Daß dieser Schatten blau sei, bemerkt man alsobald; aber man überzeugt sich nur durch Aufmerksamkeit, daß das weiße Papier als eine rötlich gelbe Fläche wirkt, durch welchen Schein jene blaue Farbe im Auge gefordert wird.

67. Bei allen farbigen Schatten daher muß man auf der Fläche, auf welche er geworfen wird, eine erregte Farbe vermuten, welche sich auch bei aufmerksamerer Betrachtung wohl erkennen läßt. Doch überzeuge man sich vorher durch folgenden Versuch.

68. Man nehme zu Nachtzeit zwei brennende Kerzen und stelle sie gegeneinander auf eine weiße Fläche; man halte einen dünnen Stab zwischen beiden aufrecht, so dass zwei Schatten entstehen; man nehme ein farbiges Glas und halte es vor das eine Licht, also daß die weiße Fläche gefärbt erscheine, und in demselben Augenblick wird der von dem nunmehr färbenden Lichte geworfene, und von dem farblosen Lichte beleuchtete Schatten die geforderte Farbe anzeigen.

69. Es tritt hier eine wichtige Betrachtung ein, auf die wir noch öfters zurückkommen werden. Die Farbe selbst ist ein Schattiges (grch.) deswegen Kircher vollkommen recht hat, sie Lumen opacatum zu nennen; und wie sie mit dem Schatten verwandt ist, so verbindet sie sich auch gern mit ihm, sie erscheint uns gern in ihm und durch ihn, sobald der Anlaß nur gegeben ist; und so müssen wir bei Gelegenheit der farbigen Schatten zugleich eines Phänomens erwähnen, dessen Ableitung und Entwickelung erst später vorgenommen werden kann.

70. Man wähle in der Dämmerung den Zeitpunkt, wo das einfallende Himmelslicht noch einen Schatten zu werfen imstande ist, der von dem Kerzenlichte nicht ganz aufgehoben werden kann, so daß vielmehr ein doppelter fällt, einmal vom Kerzenlicht gegen das Himmelslicht und sodann vorn Himmelslicht gegen das Kerzenlicht [Tafel 1, Figur 5 und . Wenn der erstere blau ist, so wird der letztere hochgelb erscheinen. Dieses hohe Gelb ist aber eigentlich nur der über das ganze Papier von dem Kerzenlicht verbreitete gelbrötliche Schein, der im Schatten sichtbar wird.

71. Hievon kann man sich bei dem obigen Versuche mit zwei Kerzen und farbigen Gläsern am besten überzeugen, so wie die unglaubliche Leichtigkeit, womit der Schatten eine Farbe annimmt, bei der nähern Betrachtung der Widerscheine und sonst mehrmals zur Sprache kommt.

72. Und so wäre denn auch die Erscheinung der farbigen Schatten, welche den Beobachtern bisher so viel zu schaffen gemacht, bequem abgeleitet. Einjeder, der künftighin farbige Schatten bemerkt, beobachte nur, mit welcher Farbe die helle Fläche, worauf sie erscheinen, etwa tingiert sein möchte. Ja man kann die Farbe des Schattens als ein Chromatoskop der beleuchteten Flächen ansehen, indem man die der Farbe des Schattens entgegenstehende Farbe auf der Fläche vermuten und bei näherer Aufmerksamkeit in jedem Falle gewahr werden kann.

73. Wegen dieser nunmehr bequem abzuleitenden farbigen Schatten hat man sich bisher viel gequält und sie, weil sie meistenteils unter freiem Himmel beobachtet wurden und vorzüglich blau erschienen, einer gewissen heimlich blauen und blau färbenden Eigenschaft der Luft zugeschrieben. Man kann sich aber bei jenem Versuche mit dem Kerzenlicht im Zimmer überzeugen, daß keine Art von blauem Schein oder Widerschein dazu nötig ist, indem man den Versuch an einem grauen trüben Tag, ja hinter zugezogenen weißen Vorhängen anstellen kann, in einem Zimmer, wo sich auch nicht das mindeste Blaue befindet, und der blaue Schatten wird sich nur um desto schöner zeigen.

74. Saussure sagt in der Beschreibung seiner Reise auf den Montblanc:

«Eine zweite nicht uninteressante Bemerkung betrifft die Farben der Schatten, die wir trotz der genausten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich in der Ebene häufig der Fall gewesen war. Wir sahen sie im Gegenteil von neunundfünfzigmal einmal gelblich, sechsmal blaßbläulich, achtzehnmal farbenlos oder schwarz, und vierunddreißigmal blaßviolett.

Wenn also einige Physiker annehmen, daß diese Farben mehr von zufälligen in der Luft zerstreuten, den Schatten ihre eigentümlichen Nüancen mitteilenden Dünsten herrühren, nicht aber durch eine bestimmte Luft- oder reflektierte Himmelsfarbe verursacht werden, so scheinen jene Beobachtungen ihrer Meinung günstig zu sein.»

Die von de Saussure angezeigten Erfahrungen werden wir nun bequem einrangieren können.

Auf der großen Höhe war der Himmel meistenteils rein von Dünsten. Die Sonne wirkte in ihrer ganzen Kraft auf den weißen Schnee, so daß er dem Auge völlig weiß erschien, und sie sahen bei dieser Gelegenheit die Schatten völlig farbenlos. War die Luft mit wenigen Dünsten geschwängert und entstand dadurch ein gelblicher Ton des Schnees, so folgten violette Schatten, und zwar waren diese die meisten. Auch sahen sie bläuliche Schatten, jedoch seltener; und daß die blauen und violetten nur blaß waren, kam von der hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schattenstärke gemindert wurde. Nur einmal sahen sie den Schatten gelblich, welches, wie wir oben (70) gesehen haben, ein Schatten ist, der von einem farblosen Gegenlichte geworfen und von dem färbenden Hauptlichte erleuchtet worden.

75. Auf einer Harzreise im Winter stieg ich gegen Abend vom Brocken herunter, die weiten Flächen auf- und abwärts waren beschneit, die Heide von Schnee bedeckt, alle zerstreut stehenden Bäume und vorragenden Klippen, auch alle Baum- und Felsenmassen völlig bereift, die Sonne senkte sich eben gegen die Oderteiche hinunter.

Waren den Tag über, bei dem gelblichen Ton des Schnees, schon leise violette Schatten bemerklich gewesen, so mußte man sie nun für hochblau ansprechen, als ein gesteigertes Gelb von den beleuchteten Teilen widerschien.

Als aber die Sonne sich endlich ihrem Niedergang näherte und ihr durch die stärkeren Dünste höchst gemäßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit der schönsten Purpurfarbe überzog, da verwandelte sich die Schattenfarbe in ein Grün, das nach seiner Klarheit einem Meergrün, nach seiner Schönheit einem Smaragdgrün verglichen werden konnte. Die Erscheinung ward immer lebhafter, man glaubte sich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte sich in die zwei lebhaften und so schön übereinstimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die Prachterscheinung sich in eine graue Dämmerung, und nach und nach in eine mond- und sternhelle Nacht verlor.

76. Einer der schönsten Fälle farbiger Schatten kann bei dem Vollmonde beobachtet werden. Der Kerzen- und Mondenschein lassen sich völlig ins Gleichgewicht bringen. Beide Schatten können gleich stark und deutlich dargestellt werden) so daß beide Farben sich vollkommen balancieren. Man setzt die Tafel dem Scheine des Vollmondes entgegen, das Kerzenlicht ein wenig an die Seite, in gehöriger Entfernung, vor die Tafel hält man einen undurchsichtigen Körper; alsdann entsteht ein doppelter Schatten, und zwar wird derjenige, den der Mond wirft und das Kerzenlicht bescheint, gewaltig rotgelb, und umgekehrt der, den das Licht wirft und der Mond bescheint, vom schönsten Blau gesehen werden. Wo beide Schatten zusammentreffen und sich zu einem vereinigen, ist er schwarz. Der gelbe Schatten läßt sich vielleicht auf keine Weise auffallender darstellen. Die unmittelbare Nähe des blauen, der dazwischentretende schwarze Schatten machen die Erscheinung desto angenehmer. Ja, wenn der Blick lange auf der Tafel verweilt, so wird das geforderte Blau das fordernde Gelb wieder gegenseitig fordernd steigern, und ins Gelbrote treiben, welches denn wieder seinen Gegensatz, eine Art von Meergrün, hervorbringt.

77. Hier ist der Ort zu bemerken, daß es wahrscheinlich eines Zeitmomentes bedarf, um die geforderte Farbe hervorzubringen. Die Retina muß von der fordernden Farbe erst recht affiziert sein, ehe die geforderte lebhaft bemerklich wird.

78. Wenn Taucher sich unter dem Meere befinden und das Sonnenlicht in ihre Glocke scheint, so ist alles Beleuchtete, was sie umgibt, purpurfarbig (wovon künftig die Ursache anzugeben ist); die Schatten dagegen sehen grün aus. Eben dasselbe Phänomen, was ich auf einem hohen Berge gewahr wurde (75), bemerken sie in der Tiefe des Meers, und so ist die Natur mit sich selbst durchaus übereinstimmend.

79. Einige Erfahrungen und Versuche, welche sich zwischen die Kapitel von farbigen Bildern und von farbigen Schatten gleichsam einschieben, werden hier nachgebracht. Man habe an einem Winterabende einen weißen Papierladen inwendig vor dem Fenster, eines Zimmers; in diesem Laden sei eine Öffnung, wodurch man den Schnee eines etwa benachbarten Daches sehen könne; es sei draußen noch einigermaßen dämmrig und ein Licht komme in das Zimmer; so wird der Schnee durch die Öffnung vollkommen blau erscheinen, weil nämlich das Papier durch das Kerzenlicht gelb gefärbt wird. Der Schnee, welchen man durch die Öffnung sieht, tritt hier an die Stelle eines durch ein Gegenlicht erhellten Schattens, oder, wenn man will, eines grauen Bildes auf gelber Fläche.

80. Ein andrer sehr interessanter Versuch mache den Schluß [Tafel 1, Figur . Nimmt man eine Tafel grünen Glases von einiger Stärke und läßt darin die Fensterstäbe sich spiegeln, so wird man sie doppelt sehen, und zwar wird das Bild, das von der untern Fläche des Glases kommt, grün sein, das Bild hingegen, das sich von der obern Fläche herleitet und eigentlich farblos sein sollte, wird purpurfarben erscheinen.

An einem Gefäß, dessen Boden spiegelartig ist, welches man mit Wasser füllen kann, läßt sich der Versuch sehr artig anstellen, indem man bei reinem Wasser erst die farblosen Bilder zeigen und durch Färbung desselben sodann die farbigen Bilder produzieren kann.

VII. Schwach wirkende Lichter

81. Das energische Licht erscheint rein weiß, und diesen Eindruck macht es auch im höchsten Grade der Blendung. Das nicht in seiner ganzen Gewalt wirkende Licht kann auch .noch unter verschiedenen Bedingungen farblos bleiben. Mehrere Naturforscher und Mathematiker haben die Stufen desselben zu messen gesucht. Lambert, Bouguer, Rumford.

82. Jedoch findet sich bei schwächer wirkenden Lichtern bald eine Farbenerscheinung, indem sie sich wie abklingende Bilder verhalten (39).

83. Irgendein Licht wirkt schwächer, entweder wenn seine Energie, es geschehe wie es wolle, gemindert wird, oder wenn das Auge in eine Disposition gerät, die Wirkung nicht genugsam erfahren zu können. Jene Erscheinungen, welche objektiv genannt werden können, finden ihren Platz bei den physischen Farben. Wir erwähnen hier nur des Übergangs vom Weißglühen bis zum Rotglühen des erhitzten Eisens. Nicht weniger bemerken wir, daß Kerzen, auch bei Nachtzeit nach Maßgabe wie man sie vom Auge entfernt, röter scheinen.

84. Der Kerzenschein bei Nacht wirkt in der Nähe als ein gelbes Licht; wir können es an der Wirkung bemerken, welche auf die übrigen Farben hervorgebracht wird. Ein Blaßgelb ist bei Nacht wenig von dem Weißen zu unterscheiden; das Blaue nähert sich dein Grünen und ein Rosenfarb dem Orangen.

85. Der Schein des Kerzenlichts bei der Dämmrung wirkt lebhaft als ein gelbes Licht, welches die blauen Schatten am besten beweisen, die bei dieser Gelegenheit im Auge hervorgerufen werden.

86. Die Retina kann durch ein starkes Licht dergestalt gereizt werden, daß sie schwächere Lichter nicht erkennen kann (11). Erkennt sie solche, so erscheinen sie farbig; daher sieht ein Kerzenlicht bei Tage rötlich aus, es verhält sich wie ein abklingendes; ja ein Kerzenlicht, das man bei Nacht länger und schärfer ansieht, erscheint immer röter.

87. Es gibt schwach wirkende Lichter, welche dem ungeachtet eine weiße, höchstens hellgelbliche Erscheinung auf der Retina machen, wie der Mond in seiner vollen Klarheit. Das faule Holz hat sogar eine Art von bläulichem Schein. Dieses alles wird künftig wieder zur Sprache kommen.

88. Wenn man nahe an eine weiße; oder greuliche Wand nachts ein Licht stellt, so wird sie von diesem Mittelpunkt aus auf eine ziemliche Weite erleuchtet sein [Tafel 1, Figur . Betrachtet man den daher entstehenden Kreis aus einiger Ferne, so erscheint uns der Rand der erleuchteten Fläche mit einem gelben, nach außen rotgelben Kreise umgeben, und wir werden aufmerksam gemacht, daß das Licht, wenn es scheinend oder widerscheinend nicht in seiner größten Energie auf uns wirkt, unseren Auge den Eindruck vom Gelben, Rötlichen, und zuletzt sogar vom Roten gebe. Hier finden wir den Übergang zu den Höfen, die wir um leuchtende Punkte auf eine oder die andre Weise zu sehen pflegen.

VIII. Subjektive Höfe

89. Man kann die Höfe in subjektive und objektive einteilen. Die letzten werden unter den physischen Farben abgehandelt, nur die ersten gehören hieher [Tafel 1, Figur . Sie unterscheiden sich von den objektiven darin, daß sie verschwinden, wenn man den leuchtenden Gegenstand, der sie auf der Netzhaut hervorbringt, zudeckt.

90. Wir haben oben den Eindruck des leuchtenden Bildes auf die Retina gesehen und wie es sich auf derselben vergrößert; aber damit ist die Wirkung noch nicht vollendet. Es wirkt nicht allein als Bild, sondern auch als Energie über sich hinaus; es verbreitet sich vorn Mittelpunkte aus nach der Peripherie.

91. Daß ein solcher Nimbus um das leuchtende Bild in unserm Auge bewirket werde, kann man am besten in der dunkeln Kammer sehen, wenn man gegen eine mäßig große Öffnung im Fensterladen hinblicke. Hier ist das helle Bild von einem runden Nebelschein umgeben.

Einen solchen Nebelschein sah ich mit einem gelben und gelbroten Kreise umgeben, als ich mehrere Nächte in einem Schlafwagen zubrachte und morgens bei dämmerndem Tageslichte die Augen aufschlug.

92. Die Höfe erscheinen am lebhaftesten, wenn das Auge ausgeruht und empfänglich ist. Nicht weniger vor einem dunklen Hintergrund. Beides ist die Ursache, daß wir sie so stark sehen, wenn wir nachts aufwachen und uns ein Licht entgegengebracht wird. Diese Bedingungen fanden sich auch zusammen, als Descartes im Schiff sitzend geschlafen hatte und so lebhafte farbige Scheine um das Licht bemerkte.

93. Ein Licht muß mäßig leuchten, nicht blenden, wenn es einen Hof im Auge erregen soll, wenigstens würden die Höfe eines blendenden Lichtes nicht bemerkt werden können. Wir sehen einen solchen Glanzhof um die Sonne, welche von einer Wasserfläche ins Auge fällt.

94. Genau beobachtet ist ein solcher Hof an seinem Rande mit einem gelben Saume eingefaßt. Aber auch hier ist jene energische Wirkung noch nicht geendigt, sondern sie scheint sich in abwechselnden Kreisen weiter fort zu bewegen.

95. Es gibt viele Fälle, die auf eine kreisartige Wirkung der Retina deuten, es sei nun, daß sie durch die runde Form des Auges selbst und seiner verschiedenen Teile, oder sonst hervorgebracht werde.

96. Wenn man das Auge von dem innern Augenwinkel her nur ein wenig drückt, so entstehen dunklere oder hellere Kreise. Man kann bei Nachtzeit manchmal auch ohne Druck eine Sukzession solcher Kreise gewahr werden, von denen sich einer aus dem andern entwickelte einer vom andern verschlungen wird.

97. Wir haben schon einen gelben Rand um den von einem nah gestellten Licht erleuchteten weißen Raum gesehen. Dies wäre eine Art von objektivem Hof (88).

98. Die subjektiven Höfe können wir uns als den Konflikt des Lichtes mit einem lebendigen Räume denken. Aus dem Konflikt des Bewegenden mit dem Bewegten entsteht eine undulierende Bewegung. Man kann das Gleichnis von den Ringen im Wasser hernehmen. Der hineingeworfene Stein treibt das Wasser nach allen Seiten, die Wirkung erreicht eine höchste Stufe, sie klingt ab und gelangt, im Gegensatz, zur Tiefe. Die Wirkung geht fort, kulminiert aufs neue, und so wiederholen sich die Kreise. Erinnert man sich der konzentrischen Ringe, die in einem mit Wasser gefüllten Trinkglase entstehen, wenn man versucht, einen Ton durch Reiben des Randes hervorzubringen, gedenkt man der intermittierenden Schwingungen beim Abklingen der Glocken so nähert man sich wohl in der Vorstellung demjenigen, was auf der Retina vorgehen mag, wenn sie von einem leuchtenden Gegenstand getroffen wird, nur daß sie als lebendig schon eine gewisse kreisartige Disposition in ihrer Organisation hat.

99. Die um das leuchtende Bild sich zeigende helle Kreisfläche ist gelb mit Rot geendigt. Darauf folgt ein grünlicher Kreis, der mit einem roten Rande geschlossen ist. Dies scheint das gewöhnliche Phänomen zu sein bei einer gewissen Größe des leuchtenden Körpers. Diese Höfe werden größer, je weiter man sich von dem leuchtenden Bilde entfernt.

100. Die Höfe können aber auch im Auge unendlich klein und vielfach erscheinen, wenn der erste Anstoß klein und mächtig ist. Der Versuch macht sich am besten mit einer auf der Erde liegenden, von der Sonne beschienenen Goldflinter. in diesen Fällen erscheinen die Höfe in bunten Strahlen. Jene farbige Erscheinung, welche die Sonne im Auge macht, indem sie durch Baumblätter dringt, scheint auch hieher zu gehören.

Pathologische Farben: Anhang

101. Die physiologischen Farben kennen wir nunmehr hinreichend, um sie von den pathologischen zu unterscheiden. Wir wissen, welche Erscheinungen dem gesunden Auge zugehören und nötig sind, damit sich das Organ vollkommen lebendig und tätig erzeige.

102. Die krankhaften Phänomene deuten gleichfalls auf organische und physische Gesetze: denn wenn ein besonderes lebendiges Wesen von derjenigen Regel abweicht, durch die es gebildet ist, so strebt es ins allgemeine Leben hin, immer auf einem gesetzlichen Wege, und macht uns auf seiner ganzen Bahn jene Maximen anschaulich, aus welchen die Welt entsprungen ist und durch welche sie zusammengehalten wird.

103. Wir sprechen hier zuerst von einem sehr merkwürdigen Zustande, in welchem sich die Augen mancher Personen befinden. Indem er eine Abweichung von der gewöhnlichen Art, die Farben zu sehen, anzeigt, so gehört er wohl zu den krankhaften; da er aber regelmäßig ist, öfter vorkommt, sich auf mehrere Familienglieder erstreckt und sich wahrscheinlich nicht heilen läßt, so stellen wir ihn billig auf die Grenze.

104. Ich kannte zwei Subjekte, die damit behaftet waren, nicht über zwanzig Jahr alt; beide hatten blaugraue Augen, ein scharfes Gesicht in der Nähe und Ferne, bei Tages- und Kerzenlicht, und ihre Art, die Farben zu sehen, war in der Hauptsache völlig übereinstimmend.

105. Mit uns treffen sie zusammen, daß sie Weiß, Schwarz und Grau nach unsrer Weise benennen; Weiß sahen sie beide ohne Beimischung. Der eine wollte bei Schwarz etwas Bräunliches und bei Grau etwas Rötliches bemerken. Überhaupt scheinen sie die Abstufung von Hell und Dunkel sehr zart zu empfinden.

106. Mit uns scheinen sie Gelb, Rotgelb und Gelbrot zu sehen; bei dem letzten sagen sie, sie sähen das Gelbe gleichsam über dem Rot schweben wie lasiert. Karmin in der Mitte einer Untertasse dicht ausgetrocknet nannten sie rot.

107. Nun aber tritt eine auffallende Differenz ein. Man streiche mit einem genetzten Pinsel den Karmin leicht über die weiße Schale, so werden sie diese entstehende helle Farbe der Farbe des Himmels vergleichen und solche blau nennen. Zeigt man ihnen daneben eine Rose, so nennen sie diese auch blau, und können bei allen Proben, die man anstellt, das Hellblau nicht von dem Rosenfarb unterscheiden. Sie verwechseln Rosenfarb, Blau und violett durchaus; nur durch kleine Schattierungen des Helleren, Dunkleren, Lebhafteren, Schwächeren scheinen sich diese Farben für sie voneinander abzusondern.

108. Ferner können sie Grün von einem Dunkelorange, besonders aber von einem Rotbraun nicht unterscheiden.

109. Wenn man die Unterhaltung mit ihnen dem Zufall überläßt und sie bloß über vorliegende Gegenstände befragt, so gerät man in die größte Verwirrung und fürchtet wahnsinnig zu werden. Mit einiger Methode hingegen kommt man dem Gesetz dieser Gesetzwidrigkeit schon um vieles näher.

110. Sie haben, wie man aus dem Obigen sehen kann, weniger Farben als wir, daher denn die Verwechselung von verschiedenen Farben entsteht. Sie nennen den Himmel rosenfarb und die Rose blau, oder umgekehrt. Nun fragt sich: sehen sie beides blau, oder beides rosenfarb? sehen sie das Grün orange, oder das Orange grün?

111. Diese seltsamen Rätsel scheinen sich zu lösen, wenn man annimmt, daß sie kein Blau, sondern an dessen Statt einen diluierten Purpur, ein Rosenfarb, ein helles reines Rot sehen. Symbolisch kann man sich diese Lösung einstweilen folgendermaßen vorstellen.

112. Nehmen wir aus unserm Farbenkreise das Blaue heraus) so fehlt uns Blau, Violett und Grün. Das reine Rot verbreitet sich an der Stelle der beiden ersten, und wenn es wieder das Gelbe berührt, bringt es anstatt des Grünen abermals ein Orange hervor.

113. Indem wir uns von dieser Erklärungsart überzeugt halten, haben wir diese merkwürdige Abweichung vom gewöhnlichen Sehen Akyanoblepsie genannt, und zu besserer Einsicht mehrere Figuren gezeichnet und illuminiert, bei deren Erklärung wir künftig das Weitre beizubringen gedenken [Tafel I, Figur 2, 8, 1. Auch findet man daselbst eine Landschaft, gefärbt nach der Weise, wie diese Menschen wahrscheinlich die Natur sehen, den Himmel rosenfarb und alles Grüne in Tönen vom Gelben bis zum Braunroten, ungefähr wie es uns im Herbst erscheint.

114. Wir sprechen nunmehr von krankhaften sowohl als allen widernatürlichen, außernatürlichen, seltenen Affektionen der Retina, wobei, ohne äußres Licht, das Auge zu einer Lichterscheinung disponiert werden kann, und behalten uns vor, des galvanischen Lichtes künftig zu erwähnen.

115. Bei einem Schlag aufs Auge scheinen Funken umher zu sprühen. Ferner, wenn man in gewissen körperlichen Dispositionen, besonders bei erhitztem Blute und reger Empfindlichkeit, das Auge erst sachte, dann immer stärker drückt, so kann man ein blendendes unerträgliches Licht erregen.

116. Operierte Starkranke, wenn sie Schmerz und Hitze im Auge haben, sehen häufig feurige Blitze und Funken, welche zuweilen acht bis vierzehn Tage bleiben, oder doch so lange, bis Schmerz und Hitze weicht.

117. Ein Kranker, wenn er Ohrenschmerz bekam, sah jederzeit Lichtfunken und Kugeln im Auge, solange der Schmerz dauerte.

118. Wurmkranke haben oft sonderbare Erscheinungen im Auge, bald Feuerfunken, bald Lichtgespenster, bald schreckhafte Figuren, die sie nicht entfernen können. Bald sehen sie doppelt.

119. Hypochondristen sehen häufig schwarze Figuren als Fäden, Haare, Spinnen, Fliegen, Wespen. Diese Erscheinungen zeigen sich auch bei anfangendem schwarzen Star. Manche sehen halbdurchsichtige kleine Röhren, wie Flügel von Insekten, Wasserbläschen von verschiedener Größe, welche beim Heben des Auges niedersinken, zuweilen gerade so in Verbindung hängen wie Froschlaich, und bald als völlige Sphären, bald als Linsen bemerkt werden.

120. Wie. dort das Licht ohne äußeres Licht, so entspringen auch diese Bilder ohne äußre Bilder. Sie sind teils vorübergehend, teils lebenslänglich dauernd. Hiebei tritt auch manchmal eine Farbe ein: denn Hypochondristen sehen auch häufig gelbrote schmale Bänder im Auge, oft heftiger und häufiger am Morgen, oder bei leerem Magen.

121. Daß der Eindruck irgendeines Bildes im Auge einige Zeit verharren kennen wir als ein physiologisches Phänomen (73), die allzu lange Dauer eines solchen Eindrucks hingegen kann als krankhaft angesehen werden.

122. Je schwächer das Auge ist, desto länger bleibt das Bild in demselben. Die Retina stellt sich nicht so bald wieder her, und man kann die Wirkung als eine Art von Paralyse ansehen (78).

123. Von blendenden Bildern ist es nicht zu verwundern. Wenn man in die Sonne sieht, so kann man das Bild mehrere Tage mit sich herumfragen. Boyle erzählt einen Fall von zehn Jahren.

124. Das gleiche findet auch verhältnismäßig von Bildern, welche nicht blendend sind, statt. Büsch erzählt von sich selbst, daß ihm ein Kupferstich vollkommen mit allen seinen Teilen bei siebzehn Minuten im Auge geblieben.

125. Mehrere Personen, welche zu Krampf und Vollblütigkeit geneigt waren, behielten das Bild eines hochroten Kattuns mit weißen Muscheln viele Minuten lang im Auge und sahen es wie einen Flor vor allem schweben. Nur nach langem Reiben des Auges verlor sich’s.

126. Scherffer bemerkt, daß die Purpurfarbe eines abklingenden starken Lichteindrucks einige Stunden dauern könne.

127. Wie wir durch Druck auf den Augapfel eine Lichterscheinung auf der Retina hervorbringen können, so entsteht bei schwachem Druck eine rote Farbe und wird gleichsam ein abklingendes Licht hervorgebracht.

128. Viele Kranke, wenn sie erwachen, sehen alles in der Farbe des Morgenrots, wie durch einen roten Flor; auch wenn sie am Abend lesen, und zwischendurch einnicken und wieder aufwachen, pflegt es zu geschehen. Dieses bleibt minutenlang und vergeht allenfalls, wenn das Auge etwas gerieben wird. Dabei sind zuweilen rote Sterne und Kugeln. Dieses Rotsehen dauert auch wohl eine lange Zeit.

129. Die Luftfahrer, besonders Zambeccari und seine Gefährten, wollen in ihrer höchsten Erhebung den Mond blutrot gesehen haben. Da sie sich über die irdischen Dünste emporgeschwungen hatten, durch welche wir den Mond und die Sonne wohl in einer solchen Farbe sehen, so läßt sich vermuten, daß diese Erscheinung zu den pathologischen Farben gehöre. Es mögen nämlich die Sinne durch den ungewohnten Zustand dergestalt affiziert sein, daß der ganze Körper und besonders auch die Retina in eine Art von Unrührbarkeit und Unreizbarkeit verfällt. Es ist daher nicht unmöglich, daß der Mond als ein höchst abgestumpftes Licht wirke, und also das Gefühl der roten Farbe hervorbringe. Den Hamburger Luftfahrern erschien auch die Sonne blutrot.

Wenn die Luftfahrenden zusammen sprechen und sich kaum hören, sollte nicht auch dieses der Unreizbarkeit der Nerven ebensogut als der Dünne der Luft zugeschrieben werden können?

130. Die Gegenstände werden von Kranken auch manchmal vielfarbig gesehen. Boyle erzählt von einer Dame, daß sie nach einem Sturze, wobei ein Auge gequetscht worden, die Gegenstände, besonders aber die weißen, lebhaft bis zum Unerträglichen schimmern gesehen.

131. Die Ärzte nennen Chrupsie, wenn in typischen Krankheiten, besonders der Augen, die Patienten an den Rändern der Bilder, wo Hell und Dunkel aneinander grenzen, farbige Umgebungen zu sehen versichern. Wahrscheinlich entsteht in den Liquoren eine Veränderung, wodurch ihre Achromasie aufgehoben wird.

132. Beim grauen Star läßt eine starkgetrübte Kristallinse den Kranken einen roten Schein sehen. In einem solchen Falle, der durch Elektrizität behandelt wurde, veränderte sich der rote Schein nach und nach in einen gelben, zuletzt in einen weißen, und der Kranke fing an, wieder Gegenstände gewahr zu werden; woraus man schließen konnte, daß der trübe Zustand der Linse sich nach und nach der Durchsichtigkeit nähere. Diese Erscheinung wird sich, sobald wir mit den physischen Farben nähere Bekanntschaft gemacht, bequem ableiten lassen.

133. Kann man nun annehmen, daß ein gelbsüchtiger Kranker durch einen wirklich gelb gefärbten Liquor hindurchsehe, so werden wir schon in die Abteilung der chemischen Farben verwiesen, und wir sehen leicht ein, daß wir das Kapitel von den pathologischen Farben nur dann erst vollkommen ausarbeiten können, wenn wir uns mit der Farbenlehre in ihrem 2anzen Umfang bekannt gemacht; deshalb sei es an dem Gegenwärtigen genug, bis wir später das Angedeutete weiter ausführen können.

134. Nur möchte hier zum Schlusse noch einiger besondern Dispositionen des Auges vorläufig zu erwähnen sein.

Es gibt Maler, welche, anstatt daß sie die natürliche Farbe wiedergeben sollten, einen allgemeinen Ton, einen warmen oder kalten über das Bild verbreiten. So zeigt sich auch bei manchen eine Vorliebe für gewisse Farben, bei andern ein Ungefühl für Harmonie.

135. Endlich ist noch bemerkenswert, daß wilde Nationen, ungebildete Menschen, Kinder eine große Vorliebe für lebhafte Farben empfinden, daß Tiere bei gewissen Farben in Zorn geraten, daß gebildete Menschen in Kleidung und sonstiger Umgebung die lebhaften Farben vermeiden und sie durchgängig von sich zu entfernen suchen.