VERSUCH EINER WITTERUNGSLEHRE
[handschriftlich 182]
Einleitendes und Allgemeines
Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, läßt sich niemals von uns direkt erkennen: wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen.
Dieses gilt von allen Phänomenen der faßlichen Welt, wir aber wollen diesmal nur von der schwer zu fassenden Witterungslehre sprechen.
Die Witterung offenbart sich uns, insofern wir handelnde, wirkende Menschen sind, vorzüglich durch Wärme und Kälte, durch Feuchte und Trockne, durch Maß und Übermaß solcher Zustände, und das alles empfinden wir unmittelbar, ohne weiteres Nachdenken und Untersuchen.
Nun hat man manches Instrument ersonnen, um eben jene uns täglich anfechtenden Wirkungen dem Grade nach zu versinnlichen; das Thermometer beschäftigt jedermann, und wenn er schmachtet oder friert, so scheint er in gewissem Sinne beruhigt, wenn er nur sein Leiden nach Réaumur oder Fahrenheit dem Grade nach aussprechen kann.
Nach dem Hygrometer wird weniger gesehen. Nässe und Dürre nehmen wir täglich und monatlich auf, wie sie eintreten. Aber der Wind beschäftigt jedermann; die vielen aufgesteckten Fahnen lassen einen jeden wissen, woher er komme und wohin er gehe; jedoch was es eigentlich im ganzen heißen solle, bleibt hier, wie bei den übrigen Erscheinungen, ungewiß.
Merkwürdig ist es aber, daß gerade die wichtigste Bestimmung der atmosphärischen Zustände von dem Tagesmenschen am allerwenigsten bemerkt wird; denn es gehört eine kränkliche Natur dazu, um gewahr zu werden, es gehört schon eine höhere Bildung dazu, um diejenige atmosphärische Veränderung zu beobachten, die uns das Barometer anzeigt.
Diejenige Eigenschaft der Atmosphäre daher, die uns so lange verborgen blieb, da sie bald schwerer bald leichter, in einer Folgezeit an demselbigen Ort oder zu gleicher Zeit an verschiedenen Orten, und zwar in verschiedenen Höhen, sich manifestiert, ist es, die wir denn doch in neuerer Zeit immer an der Spitze aller Witterungsbeobachtungen sehen und der auch wir einen besondern Vorzug einräumen.
Hier ist nun vor allen Dingen der Hauptpunkt zu beachten: daß alles, was ist oder scheint, dauert oder vorübergeht, nicht ganz isoliert, nicht ganz nackt gedacht werden dürfe; eines wird immer noch von einem anderen durchdrungen, begleitet, umkleidet, umhüllt; es verursacht und erleidet Einwirkungen, und wenn so viele Wesen durcheinander arbeiten, wo soll am Ende die Einsicht, die Entscheidung herkommen, was das Herrschende, was das Dienende sei, was voranzugehen bestimmt, was zu folgen genötigt werde? Dieses ists, was die große Schwierigkeit alles theoretischen Behauptens mit sich führt, hier liegt die Gefahr: Ursache und Wirkung, Krankheit und Symptom, Tat und Charakter zu verwechseln.
Da bleibt nun für den ernst Betrachtenden nichts übrig, als daß er sich entschließe, irgendwo den Mittelpunkt hinzusetzen und alsdann zu sehen und zu suchen, wie er das übrige peripherisch behandle. Ein solches haben auch wir gewagt, wie sich aus dem folgenden weiter zeigen wird.
Eigentlich ist es denn die Atmosphäre, in der und mit der wir uns gegenwärtig beschäftigen. Wir leben darin als Bewohner der Meeresufer, wir steigen nach und nach hinauf bis auf die höchsten Gebirge, wo es zu leben schwer wird; allein mit Gedanken steigen wir weiter, wir wagten den Mond, die Mitplaneten und ihre Monde, zuletzt die gegeneinander unbeweglichen Gestirne als mitwirkend zu betrachten, und der Mensch, der alles notwendig auf sich bezieht, unterläßt nicht: sich mit dem Wahne zu schmeicheln, daß wirklich das All, dessen Teil er freilich ausmacht, auch einen besondern merklichen Einfluß auf ihn ausübe.
Daher wenn er auch die astrologischen Grillen, als regiere der gestirnte Himmel die Schicksale der Menschen, verständig aufgab, so wollte er doch die Überzeugung nicht fahren lassen, daß, wo nicht die Fixsterne, doch die Planeten, wo nicht die Planeten doch der Mond die Witterung bedinge, bestimme und auf dieselbe einen regelmäßigen Einfluß ausübe.
Alle dergleichen Einwirkungen aber lehnen wir ab; die Witterungserscheinungen auf der Erde halten wir weder für kosmisch noch planetarisch, sondern wir müssen sie nach unseren Prämissen für rein tellurisch erklären.
Wiederaufnahme
Hiernach werden also zwei Grundbewegungen des lebendigen Erdkörpers angenommen und sämtliche barometrische Erscheinungen als symbolische Äußerung derselben betrachtet. Zuerst deutet uns die sogenannte Oszillation auf eine gesetzmäßige Bewegung um die Achse, wodurch die Umdrehung der Erde hervorgebracht wird, woraus denn Tag und Nacht erfolgt. Dieses Bewegende senkt sich in vierundzwanzig Stunden zweimal und erhebt sich zweimal, wie solches aus mannigfaltigen bisherigen Beobachtungen hervorgeht; wir versinnlichen sie uns als lebendige Spirale, als belebte Schraube ohne Ende; sie bewirkt als anziehend und nachlassend das tägliche Steigen und Fallen des Barometers unter der Linie; dort, wo die größte Erdmasse sich umrollt, muß sie am bemerklichsten sein, gegen die Pole sich vermindern, ja Null werden, wie auch schon von Beobachtern ausgesprochen ist. Diese Rotation hat auf die Atmosphäre entschiedenen Einfluß; Klarheit und Regen erscheinen tagtäglich abwechselnd, wie die Beobachtungen unter dem Äquator deutlich beweisen.
Die zweite allgemein bekannte Bewegung, die wir einer vermehrten oder verminderten Schwerkraft gleichfalls zuschreiben und sie einem Ein- und Ausatmen vom Mittelpunkte gegen die Peripherie vergleichen, diese darzutun haben wir das Steigen und Fallen des Barometers als Symptom betrachtet.
Bändigen und Entlassen der Elemente
Indem wir nun Vorstehendes unablässig durchzudenken, anzuwenden und zu prüfen bemüht sind, werden wir durch manches eintretende Ereignis immer weiter geführt; man lasse uns daher in Betracht des Gesagten und Ausgeführten noch Folgendes vortragen.
Es ist offenbar, daß das, was wir Elemente nennen, seinen eigenen wilden wüsten Gang zu nehmen immerhin den Trieb hat. Insofern sich nun der Mensch den Besitz der Erde ergriffen hat und ihn zu erhalten verpflichtet ist, muß er sich zum Widerstand bereiten und wachsam erhalten. Aber einzelne Vorsichtsmaßregeln sind keineswegs so wirksam, als wenn man dem Regellosen das Gesetz entgegenzustellen vermochte, und hier hat uns die Natur aufs herrlichste vorgearbeitet, und zwar indem sie ein gestaltetes Leben dem Gestaltlosen entgegensetzt.
Die Elemente daher sind als kolossale Gegner zu betrachten, mit denen wir ewig zu kämpfen haben, und sie nur durch die höchste Kraft des Geistes, durch Mut und List, im einzelnen Fall bewältigen.
Die Elemente sind die Willkür selbst zu nennen; die Erde möchte sich des Wassers immerfort bemächtigen und es zur Solideszenz zwingen, als Erde, Fels oder Eis, in ihren Umfang nötigen. Ebenso unruhig möchte das Wasser die Erde, die es ungern verließ, wieder in seinen Abgrund reißen. Die Luft, die uns freundlich umhüllen und beleben sollte, rast auf einmal als Sturm daher, uns niederzuschmettern und zu ersticken. Das Feuer ergreift unaufhaltsam, was von Brennbarem, Schmelzbarem zu erreichen ist. Diese Betrachtungen schlagen uns nieder, indem wir solche so oft bei großem, unersetzlichem Unheil anzustellen haben. Herz und Geist erhebend ist dagegen, wenn man zu schauen kommt, was der Mensch seinerseits getan hat, sich zu waffnen, zu wehren, ja seinen Feind als Sklaven zu benutzen.
Das Höchste jedoch, was in solchen Fällen dem Gedanken gelingt, ist: gewahr zu werden, was die Natur in sich selbst als Gesetz und Regel trägt, jenem ungezügelten, gesetzlosen Wesen zu importieren. Wie viel ist nicht davon zu unserer Kenntnis gekommen. Hier dürfen wir nur des Nächsten gedenken.
Die erhöhte Anziehungskraft der Erde, von der wir durch das Steigen des Barometers in Kenntnis gesetzt sind, ist die Gewalt, die den Zustand der Atmosphäre regelt und den Elementen ein Ziel setzt; sie widersteht der übermäßigen Wasserbildung, den gewaltsamsten Luftbewegungen; ja, die Elektrizität scheint dadurch in der eigentlichsten Indifferenz gehalten zu werden.
Niederer Barometerstand hingegen entläßt die Elemente, und hier ist vor allen Dingen zu bemerken, daß die untere Region der Kontinental-Atmosphäre Neigung habe, von Westen nach Osten zu strömen; Feuchtigkeit, Regengüsse, Wellen, Wogen, alles zieht milder oder stürmischer ostwärts, und wo diese Phänomene unterwegs auch entspringen mögen, so werden sie schon mit der Tendenz, nach Osten zu dringen, geboren.
Hiebei deuten wir noch auf einen wichtigen bedenklichen Punkt – wenn nämlich das Barometer lange tief gestanden hat und die Elemente des Gehorsams ganz entwöhnt sind, so kehren sie nicht alsobald bei erhöhter Barometerbewegung in ihre Grenzen zurück; sie verfolgen vielmehr noch einige Zeit das vorige Gleis, und erst nach und nach, wenn der obere Himmel schon längst zu ruhiger Entschiedenheit gekommen, gibt sich das in den untern Räumen Aufgeregte in das erwünschte Gleichgewicht. Leider werden wir auch von dieser letzten Periode zunächst betroffen und haben besonders als Meeranwohner und Schifffahrende großen Schaden davon. Der Schluß des Jahres 1824, der Anfang des gegenwärtigen gibt davon die traurigste Kunde; West und Südwest erregen, begleiten die traurigsten Meeres- und Küstenereignisse.
Ist man nun einmal auf dem Wege, seine Gedanken ins Allgemeine zu richten, so findet sich kaum eine Grenze; gar geneigt wären wir daher, das, Erdbeben als entbundene tellurische Elektrizität, die Vulkane als erregtes Elementarfeuer anzusehen und solche mit den barometrischen Erscheinungen im Verhältnis zu denken. Hiemit aber trifft die Erfahrung nicht überein; diese Bewegungen und Ereignisse scheinen besondern Lokalitäten, mit mehr oder minderer Wirkung in die Ferne, ganz eigens anzugehören.
Analogie
Hat man sich vermessen, wie man wohl gelegentlich verführt wird, ein größeres oder kleineres wissenschaftliches Gebäude aufzuführen, so tut man wohl, zu Prüfung desselben sich nach Analogien umzusehen; befolg ich aber diesen Rat im gegenwärtigen Falle, so finde ich, daß die vorstehende Ausführung derjenigen ähnelt, welche ich bei dem Vortrag der Farbenlehre gebraucht.
In der Chromatik nämlich setze ich Licht und Finsternis einander gegenüber; diese würden zueinander in Ewigkeit keinen Bezug haben, stellte sich nicht die Materie zwischen beide; diese sei nun undurchsichtig, durchsichtig oder gar belebt, so wird Helles und Dunkles an ihr sich manifestieren und die Farbe sogleich in tausend Bedingungen an ihr entstehen.
Ebenso haben wir nun Anziehungskraft und deren Erscheinung, Schwere, an der einen Seite, dagegen an der andern Erwärmungskraft und deren Erscheinen, Ausdehnung, als unabhängig einander gegenübergestellt; zwischen beide hinein setzten wir die Atmosphäre, den von eigentlich sogenannten Körperlichkeiten leeren Raum, und wir sehen, je nachdem obgenannte beide Kräfte auf die feine Luftmaterialität wirken, das, was wir Witterung nennen, entstehen und so das Element, in dem und von dein wir leben, aufs mannigfaltigste und zugleich gesetzlichste bestimmt.
Anerkennung des Gesetzlichen
Bei dieser, wie man sieht, höchst komplizierten Sache glauben wir daher ganz richtig zu verfahren, daß wir uns erst am Gewissesten halten; dies ist nun dasjenige, was in der Erscheinung in gleichmässigem Bezug sich öfters wiederholt und auf eine ewige Regel hindeutet. Dabei dürfen wir uns nur nicht irremachen lassen, daß das, was wir als zusammenwirkend, als übereinstimmend betrachtet haben, auch zuzeiten abzuweichen und sich zu widersprechen scheint. Besonders ist solches nötig in Fällen wie dieser, wo man, bei vielfältiger Verwicklung, Ursache und Wirkung so leicht verwechselt, wo man Korrelate als wechselseitig bestimmend und bedingend ansieht. Wir nehmen zwar ein Witterungs-Grundgesetz an, achten aber desto genauer auf die unendlichen physischen, geologischen, topographischen Verschiedenheiten, um uns die Abweichungen der Erscheinung wo möglich deuten zu können. Hält man fest an der Regel, so findet man sich auch immer in der Erfahrung zu derselben zurückgeführt; wer das Gesetz verkennt, verzweifelt an der Erfahrung, denn im allerhöchsten Sinne ist jede Ausnahme schon in der Regel begriffen.
Selbstprüfung
Während man mit dem Wagestück, wie vorstehender Aufsatz, beschäftigt ist, kann man nicht unterlassen, sich auf mancherlei Weise selbst zu prüfen, und es geschieht dies am allerbesten und sichersten, wenn man in die Geschichte zurücksieht.
Alle Forscher, wenn man auch nur bei denjenigen stehen bleibt, welche nach der Wiederherstellung der Wissenschaften gearbeitet haben, fanden sich genötigt, mit demjenigen, was die Erfahrung ihnen dargebracht, so gut als möglich zu gebaren. Die Summe des wahrhaft Bekannten ließ in ihrer Breite gar manche Lücken, welche denn, weil jeder zum Ganzen strebt, bald mit Verstand> bald mit Einbildungskraft auszufüllen dieser und jener bemüht war. Wie die Erfahrung wuchs, wurde das, was die Einbildungskraft gefabelt, was der Verstand voreilig geschlossen hatte, sogleich beseitigt; ein reines Faktum setzte sich an die Stelle, und die Erscheinungen zeigten @ sich nach und nach immer mehr wirklich und zu gleicher Zeit harmonischer. Ein einziges Beispiel stehe hier statt aller.
Von dem frühsten Unterricht meiner Lehrjahre bis auf die neuem Zeiten erinnere ich mich gar wohl, daß der große und unproportionierte Raum zwischen Mars und Jupiter jedermann auffallend gewesen und zu gar mancherlei Auslegungen Gelegenheit gegeben. Man sehe unseres herrlichen Kants Bemühungen, sich über dieses Phänomen einigermaßen zu beruhigen.
Hier lag also ein Problem, man darf sagen am Tage, denn der Tag selbst verbarg, daß sich hier mehrere kleine Gestirne um sich selbst bewegten und die Stelle eines größeren dem Raum angehörigen Gestirns auf die wundersamste Weise angenommen hatten.
Dergleichen Probleme liegen zu Tausenden innerhalb des Kreises der Naturforschung, und sie würden sich früher auflösen, wenn man nicht zu schnell verführe, um sie durch Meinungen zu beseitigen und zu verdüstern.
Indessen behauptet alles, was man Hypothese nennt, ihr altes Recht, wenn sie nur, das Problem, besonders wenn es gar keiner Auflösung fähig scheint, einigermaßen von der Stelle schiebt und es dahin versetzt, wo das Beschauen erleichtert wird. Ein solches Verdienst hatte die antiphlogistische Chemie; es waren dieselben Gegenstände, von denen gehandelt wurde, aber sie waren in andere Stellen, in andere Reihen gerückt, so daß man ihnen auf neue Weise von andern Seiten beikommen konnte.
Was meinen Versuch betrifft. die Hauptbedingungen der Witterungslehre für tellurisch zu erklären und einer veränderlichen pulsierenden Schwerkraft der Erde die atmosphärischen Erscheinungen in gewissem Sinne zuzuschreiben, so ist er von derselben Art. Die völlige Unzulänglichkeit, so konstante Phänomene den Planeten, dem Monde, einer unbekannten Ebbe und Flut des Luftkreises zuzuschreiben, ließ sich Tag für Tag mehr empfinden, und wenn ich die Vorstellung darüber nunmehr vereinfacht habe, so kann man dem eigentlichen Grund der Sache sich um so viel näher glauben.
Denn ob ich gleich mir nicht einbilde, daß hiemit alles gefunden und abgetan sei, so bin ich doch überzeugt: wenn man auf diesem Wege die Forschungen fortsetzt und die sich hervortuenden nähern Bedingungen und Bestimmungen genau beachtet, so wird man auf etwas kommen, was ich selbst weder denke noch denken kann, was aber sowohl die Auflösung dieses Problems als mehrerer verwandten mit sich führen wird.