Goethes Naturwissenschaft: Tonlehre

Entwickelt die Gesetze des Hörbaren. Dieses entspringt durch Erschütterung der Körper, für uns vorzüglich durch Erschütterung der Luft.

Das Hörbare ist im weiten Sinne unendlich. Davon werden aber beseitigt: Geräusch, Schall und Sprache.

Bleibt zu unserer nächsten Beschäftigung: das musikalisch Hörbare (der Klang).

Dieses entspringt aus der materiellen Reinheit und dem Maße des erschütterten oder erschütternden Körpers.

Um zu diesem Maße zu gelangen, nehmen wir erst einen klingenden Körper als ein Ganzes an.

Der entschiedene Klang, den dieses Ganze von sich gibt, nennen wir einen Grundton.

Das Ganze verkleint, gibt einen einen höhern, vergrössert, einen tiefern Ton.

Wir können das Ganze auf eine stetige Weise nach und nach verkleinern. Hieraus entspringen keine Verhältnisse.

Wir können das Ganze einteilen Dies gibt Verhältnisse.

Hauptverhältnisse stehen voneinander entfernt (Akkorde). Zwischenverhältnisse füllen den Raum zwischen jenen aus bis zu einer Art von Stetigkeit (Skala).

Auf diesen Stufen schreitet der Ton zur Höhe und Tiefe fort, bis er sich selbst wiederfindet (Oktave).

Mehr ist für den Anfang nicht nötig. Das übrige muß sich bei der Darstellung entwickeln, modifizieren und erläutern. — Die Lehre wird auf die ganze Erfahrung gegründet und in drei Abteilungen vorgetragen. – Das Musikalisch – Hörbare erscheint uns organisch (subjektiv), mechanisch (gemischt), mathematisch (objektiv). Alles dreies fällt zuletzt wieder zusammen, bequem durch die Kraft des Künstlers, schwerer durch wissenschaftliche Darstellung.

A. ORGANISCH (SUBJEKTIV)

Indem sich aus und an dem Menschen selbst die Tonwelt offenbaret, .] hervortritt in der Stimme, .] zurückkehrt durchs Ohr,. .] aufregend zur Begleitung den ganzen Körper und eine sinnlich-sittliche Begeisterung und eine Ausbildung des innern und äußern Sinnes bestimmend.

1. Gesangslehre

Der Gesang ist völlig produktiv an sich.- Naturell des äußern und Genie des innern Sinnes werden durchaus gefordert.

a. Bruststimme

Die an Höhe und Tiefe verschiedenen Stimmen sind von unten hinauf: Baß, Tenor, Alt, Diskant. Jede Stimme ist als ein Ganzes anzusehen. — Jede enthält eine Oktave und etwas drüber. – Sie greifen übereinander. – Machen zusammen zirka drei Oktaven. Sie sind unter die beiden Geschlechter verteilt. Daher die Bedeutsamkeit der Pubertät, der daher entspringenden Mutation, welche durch Kastration verhindert werden kann,

b. Register,

das heisst Grenze der Bruststimme.

c. Kopfstimme

Übergang ins Mechanische. Verarbeitung beider in eins. Detail der Organisation von Brust und Kehle.

Zugabe von den Stimmen der Tiere, besonders der Vögel.

2. Akustik

Empfänglichkeit des Ohres. Scheinbare Passivität und Adiaphorie desselben (Indifferenz). — Gegen das Auge betrachtet ist das Hören ein stummer Sinn. – Nur der Teil eines Sinnes. Dem Ohr müssen wir jedoch, als einem hohen organischen Wesen, Gegenwirkung und Forderung zuschreiben; wodurch der Sinn ganz allein fähig wird, das ihm von außen Gebrachte aufzunehmen und zu fassen. Doch ist bei dem Ohr die Leitung noch immer besonders zu betrachten, welche durchaus erregend und produktiv wirkt. Die Produktivität der Stimme wird dadurch geweckt, angeregt, erhöht und vermannigfaltigt. Der ganze Körper wird angeregt.

3. Rhythmik

Der ganze Körper wird angeregt zum Schritt (Marsch), zum Sprung (Tanz und Gebärdung).

Alle organische Bewegungen manifestieren sich durch Diastolen und Systolen.

Ein anders ist den Fuß aufheben, ein anders ihn niedersetzen.

Hier erscheint Gewicht und Gegengewicht der Rhythmik.

Arsis, Aufschlag.

Thesis, Niederschlag.

Taktarten: Gleiche. Ungleiche. Diese Bewegungen können für sich betrachtet werden; doch verbinden sie sich notwendig und schnell mit der Modulation.

B. MECHANISCH (GEMISCHT)

Gesetzlicher Ton durch verschiedene Mittel hervorgebracht.

Instrumente

Materie: Timbre derselben, Reinheit, Elastizität.

Form: Natürlich-Organisch. Künstlich. –-

Metall, Holz, Glas.

Röhren, Längen, Flächen.

Erschütterungsart: Einhauchen, Streichen. In die Quere, in die Länge.

Anschlagen: Verhältnis zum Mathematischen. Die Instrumente entspringen durch die Einsicht in die Maß- und Zahlverhältnisse und vermehren diese Einsicht durch Vermannigfaltigung.

Entdeckung andrer Naturverhältnisse der Töne, als durchs Monochord.

Verhältnis zur Menschenstimme.

Sie sind ein Surrogat derselben. Sie stehen unter derselben. — Werden aber ihr gleich gehoben durch gefühlte und geistreiche Behandlung.

C. MATHEMATISCH (OBJEKTIV)

Indem an den einfachsten Körpern außer uns die ersten Elemente des Tons dargestellt und auf Zahl- und Maßverhältnisse reduziert werden.

Monochord

Mitklingen der harmonischen Töne. – Verschiedene Vorstellungsarten, wie es zugehe. – Sympathetisches Mitschwingen. – Mechanisches Mitschwingen. – Organische Forderung und subjektives Erregen des Mitklingens.

Objektiver Beweis rückwärts durch Mitklingen in jenen Verhältnissen gestimmter Saiten.

Gründung der einfachsten Tonverhältnisse. — Diatonische Tonleiter. – Forderung in der Natur auf diesem Wege nicht zu befriedigen.

Gegebenes in der Erfahrung, auf diesem Wege nicht zu gründen und darzustellen. —

Hindeutung auf den Mollton. Er entspringt nicht durch das erste Mitklingen. Er manifestiert sich in weniger faßlichen Zahl- und Maßverhältnissen und ist doch ganz der menschlichen Natur gemäß, ja gemäßer als jene erste faßliche Tonart.

Objektiver Beweis rückwärts durch Mitklingen in diesem aus der Erfahrung genommenen Ton gestimmter Saiten. (So gibt der Grundton C hinaufwärts die Harmonie von C-dur, herabwärts die Harmonie von f-moll.)

Dur- und Moll-Ton als die Polarität der Tonlehre. – Erstes Prinzip der beiden. Der Dur-Ton entspringt durch Steigen, durch eine Beschleunigung nach oben, durch eine Erweiterung aller Intervalle hinaufwärts. – Der Moll-Ton entspringt durchs Fallen, Beschleunigung hinabwärts, Erweiterung der Intervalle nach unten.

(Die Moll-Skala hinaufwärts muß sich zu Dur machen.) – Ausführung jenes Gegensatzes als des Grundes der ganzen Musik.

(Ursprung und Notwendigkeit des Subsemitonium modi beim Steigen und der kleinen Terz beim Fallen.)

Verbindung beider Modi durch die Dominante und Tonika. – (Der erste muß immer Dur sein. Frage, ob der zweite immer Moll sein sollte?)

Ursprung der Arsis und Thesis in der ganzen Bewegung auf diesem Wege, also auch der körperlichen Mitwirkung und der Rhythmik.

KUNSTBEHANDLUNG

a. Beschränkung der Oktave. Identisches Aneinanderreihen derselben. – Bestimmung der Tonverhältnisse. Mit der Natur und gegen dieselbe.

b. Abrunden und Nebulistisieren der Töne, um mehrere Tonarten nebeneinander zu haben und eine wie die andere zu behandeln.

c. Singschule. Übung nach Einsicht des Leichtern und Schwerern, des Fundamentalen und Abgeleiteten. – Eingreifen des Genies, Talents und Gebrauch alles Vorhergesagten als Stoffs und Werkzeuges.

Verbindung mit der Sprache beim Gesang überhaupt, besonders beim Canto fermo, Rezitativ und Quasi parlando.

Scheidung von der Sprache durch eine Art Register und Übergang zu derselben und also zu Vernunft (Verstand).

Schall (Geräusch). Übergang ins Formlose, Zufällige.

Der erste Teil einer Melodie aus dem Dur-Tone schließt in der Quinte in seinem reinen Verhältnis.

Der zweite Teil schließt wieder im Grundtone.

Beide Teile machen ein Ganzes.

Diesem Ganzen etwas entgegenzusetzen als Minor kann man wählen:

1. Das Mollverhältnis eines eignen Tons.

2. Die Quarte.

3. Die Sexte.

Wenn man nach einem Dur-Major oder Vordersatz einen Nachsatz aus der Quinte bringt, so ist er exzitierend.