Johann C. Lavater (1741 – 1801)

lavater1Physiognomie oder „das Antlitz – eine Obsession“

Lavater wurde am 15. November 1741 in Zürich als Sohn eines Arztes und als 12. Kind geboren und wuchs in der spezifisch zürcherischen Tradition der Aufklärung geprägt von republikanischer Gesinnung auf.

Er durchlief die übliche Theologenausbildung seiner Zeit. Am Gymnasium Carolinum wurde er insbesondere durch seine Lehrer Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger geprägt und zu ersten dichterischen Versuchen angeregt.

Aufsehen erregte Lavater 1762, im Jahr seiner Ordination, als er mit seinen Freunden Johann Heinrich Füssli und Felix Hess in einer anonymen Flugschrift dem Landvogt Grebel Amtsmissbrauch vorwarf. Dies führte zwar zu dessen Absetzung und Bestrafung, zwang die Verfasser aber zum zeitweisen Verlassen Zürichs.

Während seiner Deutschlandreise lernte Lavater die Dichter Gellert, Gleim, Ramler und Klopstock kennen. Nach der Rückkehr gab Lavater die moralische Wochenschrift Der Erinnerer (1765-1767) und die Schweizerlieder (1768) heraus. Der eigentliche schriftstellerische Durchbruch gelang ihm mit seinen vierbändigen Aussichten in die Ewigkeit, in Briefen an Herrn Johann Georg Zimmermann, königlicher Grossbrittanischer Leibarzt in Hannover (1768-1778). Hier entwickelte Lavater ein verinnerlichtes Frömmigkeitskonzept.

1769 wurde Lavater Diakon und 1775 Pfarrer an der Waisenhauskirche, 1778 Diakon und 1787 Pfarrer an der St. Peter-Kirche in Zürich. Das Geheime Tagebuch (1771) und die Unveränderten Fragmente aus dem Tagebuch eines Beobachters seiner Selbst (1773) sind ein bedeutendes Zeugnis psychologischer Selbstbeobachtung, der sogenannten Erfahrungsseelenkunde. Seine Predigten, die christliche Grundprobleme mit den damals aktuellen Zeitfragen in Verbindung brachten, fanden auf der einen Seite eine begeisterte Anhängerschaft, aber auch schroffe Ablehnung.

Anfänglich eher rationalistisch orientiert, gelangte Lavater zu einer christologisch-biblischen Ausrichtung. Unter dem Einfluss von Charles Bonnets Palingénésie, die er 1769/70 ins Deutsche übersetzte, vertritt er die Ansicht, dass die sinnlich-leibliche Erkenntnis zum göttlichen Wesen führt, wie es sich im Individuum darstellt.

Internationales Ansehen verschaffte sich Lavater mit seinem Hauptwerk Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1775-1778 in 4 Bänden), an dem unter anderem auch Goethe mitarbeitete. Der Verfasser vertrat darin die Überzeugung, dass die hauptsächlich durch die Silhouette zu gewinnende Kenntnis der unbewegten Gesichtszüge des Menschen Aufschluss über den jeweiligen Charakter gibt. Die Physiognomik bildete demnach den einzigen Zugang zur Beurteilung des Wesens jedes Menschen, seines „dreifachen Lebens“, das sich aus „Kraft“ (Physiologie), „Verstand“ (Intellekt) und „Herz“ (Moral) zusammensetze.

Satirische Verunglimpfungen, Polemik und Spott über Lavaters Lehre wie über seinen stark polarisierend wirkenden Enthusiasmus blieben nicht aus (u. a. von Georg Christoph Lichtenberg und Moses Mendelssohn). Umstritten blieb ausserdem Lavaters Einsatz zugunsten der „Wasserschauerin“ Elisabeth Tüscher aus Biel, des Spiritisten Emanuel von Swedenborg, des Exorzisten und Priesters Johann Jakob Gassner, des „tierischen Magnetismus“ des Franz Anton Mesmer, des Phrenologen Franz Joseph Gall oder des Abenteurers Alessandro Cagliostro. In den von ihnen erzeugten Phänomenen glaubte Lavater das Walten göttlicher Kräfte zu erkennen. Dies entfremdete ihn von den meisten Naturwissenschaftlern, aber auch von Goethe und Herder, machte ihn aber gleichzeitig bei einem grossen Publikum populär: Seine Reise nach Bremen 1786 wurde zum Triumphzug.
Lavater lehnte die Ideen der Französischen Revolution als glaubensfeindlich ab. In den Spannungen zwischen dem Land und der herrschenden Stadt Zürich suchte der Angehörige einer „regimentsfähigen“ Patrizierfamilie 1794/95 zu vermitteln. 1798 wandte er sich mit einem Flugblatt Ein Wort eines freyen Schweizers an die grosse Nation gegen die französische Besatzungsmacht, worauf er 1799 für einige Monate nach Basel deportiert wurde (Freymüthige Briefe über das Deportationswesen und meine eigene Deportation nach Basel, 1800-1801). Von einem Geschoss eines Besatzungssoldaten getroffen, starb Lavater 1801 nach längerer Leidenszeit. Sein hinterlassenes Werk umfasst über hundert Titel und zahllose, meist unpublizierte Briefe.

Schriften von Lavater

Grebelhandel.1762. Der von Jo. Caspar Lavater glücklich besiegte Landvogt Felix Grebel, Arnheim 1769.
Zwey Briefe an Herrn Magister Carl Friedrich Bahrdt, Breslau/Leipzig 1764.
Der Erinnerer. 3 Bde., Zürich 1765-1767.
Schweizerlieder, Bern 1767.
Schweizerlieder mit Melodien, Bern 1769.
Aussichten in die Ewigkeit. 4 Bde., Zürich 1768-1778.
Drey Fragen von den Gaben des Heiligen Geistes. 1769.
Zugabe zu den drey Fragen von den Gaben des Heiligen Geistes. 1769.
Briefe von Herrn Moses Mendelssohn und Joh. Caspar Lavater. 1770.
Nachdenken über mich Selbst, Zürich 1770.
Einige Briefe über das Basedowsche Elementarwerk von Isaak Iselin und Joh. Casp. Lavater, Zürich 1771.
Christliches Handbüchlein für Kinder, Zürich 1771.
Geheimes Tagebuch. Von einem Beobachter seiner Selbst, Leipzig 1771.
Fünfzig Christliche Lieder, Zürich 1771.
Von der Physiognomik 2 St., Leipzig 1772.
Unveränderte Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst, Leipzig 1773.
Sittenbüchlein für das Gesinde, Homburg vor der Höhe 1773.
Vermischte Schriften. 2 Bde., Winterthur 1774/1781.
Abraham und Isaak, Winterthur 1776.
Brüderliche Schreiben an verschiedene Jünglinge, Winterthur 1782.
Pontius Pilatus. 4 Bde., Zürich 1782-1785.
Sämtliche kleinere prosaische Schriften vom Jahr 1763-1783. 3 Bde., Winterthur 1784/1785.
Nathanaél, Basel 1786.
Rechenschaft an Seine Freunde. 1. & 2. Blatt, Winterthur 1786.
Handbibliothek für Freunde. 24 Bde. [in Auswahl: u.a. Andenken an liebe Reisende / Das menschliche Herz]
Regeln für Kinder. 1793.
Ein Wort eines freyen Schweizers an die französische Nation. 1798
An das helvetische Vollziehungs-Directorium, Zürich 1799.
Briefwechsel Lavaters und Reubell’s vom Jahr 1798. 1801.
Freymüthige Briefe von Johann Kaspar Lavater über das Deportationswesen und seine eigne Deportation nach Basel. 2 Bde., Winterthur 1800/1801.